Wer sich heute im Oberfeldquartier des Berner Vororts Ostermundigen umschaut, glaubt kaum, dass hier früher geschossen wurde. An einer autofreien Genossenschaftssiedlung wehen PEACE-Flaggen an den Balkonen, Bäume säumen die Strassen, deren Beleuchtung wird über Bewegungsmelder gesteuert: Das Oberfeld gilt als Paradebeispiel für nachhaltige Wohnbauentwicklung. An früher erinnert nur noch ein langes Gebäude mit Giebeldach an einer grossen Wiese – das ehemalige Schützenhaus.
70 Jahre lang schossen auf dem 210 000 Quadratmeter grossen Areal Schützen- und Jagdvereine sowie die Armee auf insgesamt 240 Scheiben. Sogar eine Tontaubenschiessanlage gab es. Das Ganze hatte Folgen: Das in den Projektilen enthaltene Blei und das zur Härtung genutzte toxische Schwermetall Antimon kontaminierten den Boden. Bevor die Stadt Bern als damalige Besitzerin 2009 das Oberfeld an die Pensionskasse des Verbands Schweizerischer Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte (VSAO) verkaufte, beschloss man, das Areal einer Totalsanierung zu unterziehen – es also komplett von Schadstoffen zu befreien. «Altlastenrechtlich und hinsichtlich der möglichen Gefährdungen wäre eine Totalsanierung nicht nötig gewesen», sagt Thomas Lepke, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Sektion Altlasten des BAFU. Allerdings ist es kaum möglich, für belastetes Bauland Käufer zu finden.
Belastete Schiessplätze der Schweiz
Insgesamt listen die kantonalen Kataster der belasteten Standorte schweizweit rund 4000 Areale bei Schiessanlagen auf. 2000 bis 2500 dieser Schiessplätze sind sanierungsbedürftig, wovon etwa die Hälfte bereits saniert werden konnte. Bis 2045 sollen auch die anderen rund 1200 Schiessanlagen saniert sein.
Das für die Sanierung zuständige Ingenieurbüro berechnete aufgrund der Voruntersuchungen, dass bis zur Stilllegung der Anlage im Jahr 2001 ganze 40 Millionen Kugeln in den Boden eingedrungen sein mussten, was rund 270 Tonnen Blei entspricht. Um als unbelastet zu gelten, durften am Ende im Schnitt nicht mehr als 50 Milligramm Blei pro Kilogramm Boden zurückbleiben. Was folgte, war eines der grössten Sanierungsprojekte von Schiessanlagen der Schweiz
Ein innovativer Pilotversuch
Wie bei Schiessplatzsanierungen üblich, mussten auch im Oberfeld die obersten, stark belasteten Bodenschichten abgetragen werden – auf einer Fläche von 170 000 Quadratmetern. Normalerweise würde dieser Aushub abtransportiert, in spezialisierten Anlagen gewaschen und dann je nach Belastung in Deponien entsorgt oder andernorts wiederverwendet. Nicht so in Ostermundigen, wie Stephan Wüthrich erklärt, der die Sanierung als Gesamtprojektleiter begleitete.
Das mit der Bodenbearbeitung beauftragte Unternehmen schlug als Pilotversuch ein innovatives Verfahren vor: Die Firma stellte ein riesiges Zelt auf, in dem sie einen grossen Teil des Bleis vor Ort aus dem Boden siebte. «Dadurch liess sich der Anteil des stark belasteten Materials reduzieren, zudem konnten wir Transportwege und Entsorgungskosten einsparen. Teilweise konnten wir Material, das danach unter dem angestrebten Belastungswert lag, vor Ort gleich wieder einsetzen oder günstiger entsorgen. So liessen sich Ressourcen sparen. Heute würde man das belastete Material vermutlich direkt einer Bodenwaschanlage zuführen», so Wüthrich. Die Sanierungskosten von rund 15 Millionen Franken teilten sich der Altlastensanierungs-Fonds (VASA) des Bundes, die Armee, die Stadt Bern als damalige Besitzerin, die Gemeinde Ostermundigen sowie der kantonale Abfallfonds.
Die Sanierung Oberfeld ist aber nicht nur wegen ihrer Nachhaltigkeit ein besonderes Beispiel: Totalsaniert werden in der Schweiz in der Regel nur jene Schiessanlagen, deren Areale für Wohnbauten vorgesehen sind. Denn eine solche Sanierung ist teurer und mit höheren Anforderungen an die Entsorgung des Aushubs verbunden. Thomas Lepke vom BAFU schätzt, dass höchstens fünf Prozent der Anlagen in den kantonalen Katastern totalsaniert werden. Meist strebt man das gesetzlich erforderliche Ziel von 1000 Milligramm Blei pro Kilogramm Boden an.
Von der Schiessanlage zur Weide
Eine Schiessanlage, die beispielhaft für die grosse Mehrheit der schweizweit über 1000 bereits sanierten Anlagen steht, befindet sich in Dänikon im Kanton Zürich. Hier wurden im Jahr 2020 rund 11,5 Tonnen Blei aus dem Boden entfernt und die Belastung auf unter 1000 Milligramm pro Kilogramm Boden reduziert. Solche Sanierungen verhindern, dass Schutzgüter wie der Boden, das Grundwasser oder Bäche und Seen verschmutzt werden.
In Dänikon wollte man den Boden schützen. Die 300-Meter-Schiessanlage sollte mit zehn Scheiben weiter betrieben, aber auch als Rinderweide genutzt werden können. Allerdings enthalten die Projektile noch heute mangels geeigneter Alternativen Blei. Damit dieses den Boden nicht erneut kontaminiert, sind jetzt emissionsfreie Kugelfangsysteme hinter den Scheiben installiert, die die Projektile sauber auffangen und so Schadstoffemissionen verhindern.
Auftraggeberinnen der Sanierungsprojekte sind meist die Standortgemeinden einer Schiessanlage, während die Kantone die administrativen Entscheidungen treffen. 8000 Franken pro Scheibe steuert gemäss Umweltschutzgesetz der Altlastensanierungs-Fonds (VASA) bei – das entspricht durchschnittlich 40 Prozent der Kosten für die Untersuchung, Überwachung und Sanierung von Schiessanlagen. Den Rest teilen die Gemeinden und Kantone sowie Verursacher wie Schützenvereine und die Armee unter sich auf.