Mit seinen Gartenklamotten passt er ins Foyer der Basler St. Jakobshalle wie eine Blume auf den Beton. Wo Wirtschaftsgrössen später in Anzügen einen Businesslunch abhalten, zieht Jascha van Gogh so zielstrebig durch, als bewege er sich in seinen eigenen vier Wänden.

Er geht Gänge entlang, Treppen hoch, öffnet unscheinbare Türen, und steigt eine Ziehleiter hinauf durch eine Luke in der Decke. Raus aufs Dach der riesigen Eventhalle St. Jakob. Hier wachsen der violett blühende Natternkopf und die purpurrosa leuchtende Kartäusernelke – eine Trockenwiesenlandschaft hoch über dem Strassenlärm der Stadt Basel.

«Besonders gefreut habe ich mich, als ich die vom Aussterben bedrohte Wegdistel gesehen habe», sagt Jascha van Gogh. Der Umweltingenieur an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW erforscht die Basler Dachbegrünungen. Auf ihren Bodensubstraten blühen zuweilen die buntesten Pflanzen, die auch seltenen Insekten und verschiedenen Vogel- und Amphibienarten einen Lebensraum bieten.

Cooles Gebäudegrün

Klar ist: Je heisser es wird, desto dringender brauchen Städte Pflanzen. Pflanzen spenden Schatten und speichern Regenwasser, das später, wenn es verdunstet, die Umgebung kühlt. Auf Gebäuden bringt das Grün weitere Vorteile: Erde und Pflanzen isolieren die Bauten und verringern damit ihren Energiebedarf. So sind im Sommer die Temperaturen in Räumen unter begrünten Flachdächern um drei bis fünf Grad tiefer und es muss weniger gekühlt werden. Fassadenbegrünungen schützen Mauern vor Hitze, Regen und UV-Strahlung und verlängern so ihre Lebensdauer.

«Wir können es uns nicht leisten, geeignete Flächen nicht zu nutzen», sagt Séverine Evéquoz von der Sektion Landschaftspolitik des BAFU. Das BAFU unterstützt Kantone und Gemeinden dabei, solche Grünflächen zu schaffen, zum Beispiel mit Musterbestimmungen, die in die Bauvorschriften aufgenommen werden sollen. Aber auch mit finanzieller Unterstützung und dem Wissensaustausch zwischen den verschiedenen Akteuren.

Paradebeispiel Basel

Die Schweizer Hauptstadt der Dachbegrünungen ist Basel. Hier sind 46 Prozent der Flachdächer begrünt, sie gelten als ökologische Ausgleichsflächen. Seit 1999 hat Basel-Stadt eine Flachdach-Begrünungspflicht im kantonalen Gesetz – und ist damit Pionierin. So entstand über die ganze Stadt ein Mosaik aus Lebensräumen für Tiere und Pflanzen – eine wichtige Ergänzung zu den grünen Korridoren und den Flüssen, die sich wie ein Netz über die Stadt legen.

Allerdings: «Ein Dach ist ein Extremstandort», sagt van Gogh, während er weiter über das Hallendach geht. Pflanzen und Tiere, die hier überleben wollen, müssen Hitze und Frost, Trockenheit und Staunässe aushalten können.

Umzug aufs Flachdach

Deshalb kommen die Pflanzen auf der St. Jakobshalle aus dem nahen Naturschutzgebiet Reinacher Heide. «Lokales Saatgut ist das hiesige Klima gewohnt und genetisch vielfältig», sagt van Gogh. Und: Mit den Samen kamen auch Larven und Eier von Spinnen und Käfern, Heuschrecken und Wildbienen, Schmetterlingen und der kleinen, seltenen Quendelschnecke von der Heide auf die Halle.

Am Dachrand liegen Totholz und Steinhaufen herum, die Insekten Unterschlupf bieten. Hier ist der Boden höher und hügelig. Das Substrat ist angereichert mit Kies, Stroh und Kompost, das sorgt für eine üppige und vielfältige Vegetation. Mit einer zusätzlichen Fassadenbegrünung würde dieser wertvolle Lebensraum für weitere Wildtiere zugänglich, etwa für Amphibien.

Solarpanels auf der Biodiversitätsfläche

Über den Rhein fährt van Gogh nun weiter zum grössten begrünten Basler Flachdach, dem des Einkaufszentrums Stücki Park an der Grenze zu Deutschland. Hierhin hat er sogar schon die Gottesanbeterin gefunden, wie eine Untersuchung des Dachs gezeigt hat. Zudem wachsen an den Fassaden Glyzinien, Efeu und Wilde Reben, die das Gebäude beschatten und Vögeln Unterschlupf bieten.

Jascha van Gogh tritt auf das Dach. Hier haben die Stadtökologinnen und -ökologen der ZHAW unterschiedliche Habitate geschaffen. Die Blauflügelige Ödlandschrecke etwa fühlt sich auf trockenen Kiesflächen wohl, die stark gefährdete Grüne Strandschrecke braucht für ihre Eier feuchte Böden.

Zusätzlich gibt es hier Fotovoltaikpanels. Die Anlage deckt bis zu 70 Prozent des gebäudeeigenen Strombedarfs. «Biodiversität und Stromproduktion schliessen sich nicht aus», sagt van Gogh. Im Gegenteil: Solarpanels spenden Schatten, so bleibt der Boden darunter länger feucht. Die Pflanzen ihrerseits kühlen und unterlüften die Solarmodule, wodurch sich die Stromproduktion bei Hitze steigern lässt.

All dies ist von der Strasse aus kaum zu sehen. Das habe Vor- und Nachteile, sagt van Gogh: «Der Nachteil ist, dass uns nicht bewusst ist, was ein grünes Dach kann.» Und der Vorteil? «Wenigstens hier oben hat die Natur ihre Ruhe.»