«Unschätzbare Wälder», der Film von Orane Burri, entführt uns in den Wald, lässt ihn uns erleben und neu entdecken. Wir treffen dabei die Menschen, die dort leben und arbeiten oder ihn beforschen. Wir hinterfragen unsere Auswirkungen auf weit entfernte Gebiete. Orane Burri erkundet den Schweizer Wald aus verschiedenen Blickwinkeln und beschäftigt sich unter anderem mit der nachhaltigen Bewirtschaftung der Neuenburger Wälder.
Verschiedene Akteure kommen in der Dokumentation zu Wort: Vom Forstingenieur über Forschende der Weltorganisation für Meteorologie bis hin zur indigenen Bevölkerung des Amazonas-Regenwalds – sie alle bereichern den Film mit ihren Perspektiven. Eine sorgfältige Ästhetik rundet den stimmigen Dokumentarfilm ab. die umwelt hat mit der Regisseurin Orane Burri gesprochen.
die umwelt: Ihr Film greift ein zivilgesellschaftliches Engagement auf, das bereits in Ihren anderen Produktionen sichtbar ist. Was wollten Sie mit dem Film erreichen?
Orane Burri: Vielleicht wollte ich Dinge miteinander verknüpfen, denn das ist etwas, was ich gerne mache. Mein Eindruck ist, dass unser Wirtschaftssystem alles tut, um uns zu entfremden. Es fällt oft schwer, abstrakte Themen wie den Klimawandel oder CO₂ mit unserem Alltag in Verbindung zu bringen. Diese Begriffe sind uns bekannt, doch die Veränderungen bleiben im täglichen Leben oft unsichtbar. Deshalb wollte ich die Wechselwirkungen im Inneren der Wälder sichtbar machen – jener Ökosysteme, von denen wir abhängig sind, ohne es wirklich zu merken. Und ich wollte zeigen, dass wir auch eine Verbindung zu den indigenen Völkern des Amazonas haben – und dass wir von hier aus Positives bewirken können.
Im Film kommen unterschiedliche Akteurinnen und Akteure zu Wort: Neuenburger Forstingenieure, Indigene aus dem Amazonasgebiet oder Forschende der NASA. Wie kam der Kontakt zustande?
Ich konnte in Genf an einer Konferenz der Weltorganisation für Meteorologie teilnehmen. Das war interessant, da Forschende aus der ganzen Welt neue Zahlen zur CO2-Aufnahmefähigkeit des Amazonasgebiets präsentierten. Und es waren eher schlechte Nachrichten: Der Amazonas-Regenwald absorbiert nicht mehr so viel CO2 wie früher.

Luciana Gatti und Oksana Tarasova, zwei Wissenschaftlerinnen, die im Film mitwirken, hier bei einer Konferenz der Weltorganisation für Meteorologie (WMO). ©Les Regardiens
Und die Beobachtungen vor Ort bestätigen die Resultate der wissenschaftlichen Analyse.
Forschende der NASA mit Zugang zu Satellitendaten hatten diese Veränderung festgestellt, ohne aber über Beweise «am Boden» zu verfügen. Hier sah sich Luciana Gatti, Forscherin in Brasilien, in ihren Beobachtungen bestätigt: Der Amazonas-Regenwald funktioniert nicht mehr gleich. Der Wissenschaft wird öfters vorgeworfen, fern von der Realität im Elfenbeinturm zu sitzen. Die Bevölkerung oder die Landwirtinnen bzw. Landwirte dagegen sähen die unmittelbaren Folgen des Klimawandels in ihrem Alltag. Ich stelle fest, dass alle diese Personen zum gleichen Schluss kommen, sei es auf empirischem oder wissenschaftlichem Weg. Es war mir wichtig, das im Film zu zeigen: Alle diese Menschen mögen zwar eine andere Sprache sprechen, aber sie sehen, dass gehandelt werden muss, und engagieren sich. Diese Verbindung zwischen den verschiedenen Akteurinnen und Akteuren hat mich in diesem Film berührt.
Sie haben «Unschätzbare Wälder» ausschliesslich im Kanton Neuenburg gedreht. Gibt es einen Grund dafür?
Für mich war es spannend, bei der «westlichen» oder «schweizerischen» Sichtweise zu bleiben. Natürlich hätte ich den Amazonas mit gekauften Aufnahmen in den Film bringen können, aber ich wollte auch zeigen, dass wir eine Verbindung zu weit entfernten Orten haben. Es lag mir am Herzen, vom Schweizer Wald zu erzählen, von dem man denken könnte, er sei gesund. Er ist es aber nicht und er hat mit immer mehr Belastungen zu kämpfen.

Die Verbindung zwischen den Amazonas-Völkern und der Schweizer Bevölkerung ist stärker, als man denkt. © Les Regardiens
Wie hat sich Ihre Sicht auf den Wald mit diesem Projekt verändert?
Den wahren Wert der Dinge erkennt man häufig erst, wenn man sie verliert: Ich habe zwölf Jahre in Paris gelebt und die Natur fehlte mir in dieser Zeit sehr. Manchmal fuhr ich mit der S-Bahn hinaus, um im Wald spazieren zu gehen. Er war aber ganz anders als der Wald meiner Kindheit in Neuenburg. Beim Drehen dieses Films begriff ich, dass diese Wälder bei Paris eigentlich Baumplantagen sind – mit sehr wenig Biodiversität oder überhaupt einfach eintönig. Das Gegenteil von dem, was ich von früher kannte: dem nachhaltig bewirtschafteten Wald in Neuenburg. Als ich in meine Heimatstadt zurückkehrte, trieb ich Sport oder spazierte im Wald, ohne ihn wirklich zu erleben. Für den Film musste ich mir aber Zeit nehmen, um mir Fragen zu stellen: Was ist ein Wald? Welche Themen sind für diesen Wald wichtig? Ich ging zu jeder Jahreszeit in den Wald und hielt inne. Ich beobachtete die Ameisen und begann, die Wechselwirkungen zu verstehen. Und ich erkannte, wie sich der Wald im Jahresverlauf verändert, faszinierend!
Gab es während der Dreharbeiten einen Moment, der Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?
Es gibt viele kleine Geschichten darüber, wie ich die Mitwirkenden im Film getroffen habe. Das waren manchmal verrückte, fast magische Zufälle. Die Begegnung mit Angehörigen des Puyanawa-Volkes beispielsweise kam zustande, weil ich auf Facebook auf einen Post stiess, der ihren Besuch in Neuenburg ankündigte. Sie kamen in die Schweiz, um auf die Bedrohung ihres Lebensraums aufmerksam zu machen. Das war perfekt! Denn ich wollte gerade auch den Standpunkt von indigenen Gemeinschaften aus dem Amazonas zeigen, konnte aber aus Budgetgründen nicht dorthin reisen. Dank diesem Film begriff ich, dass die Sichtweise auf den Wald sehr individuell ist. Manche sehen ihn gar nicht. Aber er lässt uns nicht gleichgültig. Im Gegenteil: Er macht uns zu besseren Menschen.

Orane Burri
geboren 1982, aufgewachsen in Neuenburg, interessierte sich schon sehr früh für Geschichten und die Welt des Kinos. Sie studierte Film in Paris, wo sie zwölf Jahre lang lebte. 2012 zog sie in die Schweiz zurück und gründete 2016 die Produktionsfirma «Les Regardiens», mit der sie engagierte Filme zu gesellschaftlichen Themen realisiert, beispielsweise «Le prix du gaz», der im Neuenburger Val de Ruz gedreht wurde. Am Barcelona Planet Film Festival wird Orane Burri für «Unschätzbare Wälder» mit dem Preis für die beste weibliche Regie ausgezeichnet.