In unseren Breitengraden wird Hitze noch immer stark unterschätzt. Während die Folgen von Starkniederschlägen, Stürmen oder Dürren zunehmend ins öffentliche Bewusstsein rücken, gilt Hitze oft als willkommene Sommererscheinung: Endlich warmes Wetter! Dabei wird leicht übersehen, was für Folgen lange Hitzeperioden haben können.
Hitze betrifft viele Bereiche unseres Alltags, aber ihr Effekt – auch auf den Menschen – wird häufig noch unterschätzt.
Erich Fischer: Hitzeperioden beeinträchtigen die Leistungsfähigkeit des Menschen spürbar – mit direkten wirtschaftlichen Folgen. Besonders betroffen sind hitzeexponierte Branchen wie das Baugewerbe oder die Landwirtschaft. Doch auch Sektoren, die auf den ersten Blick weniger anfällig erscheinen – etwa der Dienstleistungsbereich – leiden unter der Hitze. Was oft übersehen wird: Auch Menschen in klimatisch ungünstigen Innenräumen - wie etwa überhitzten Büros - sind weniger leistungsfähig.
Der daraus resultierende Produktivitätsverlust verursacht bereits heute volkswirtschaftliche Kosten in Höhe von mehreren Hundert Millionen Franken jährlich. Der flächendeckende Einbau von Klimaanlagen wäre meines Erachtens eine falsche Anpassung, denn dies würde unter anderem eine sehr hohe Stromnachfrage zur Folge haben.
Welche Rolle kommt den Städten bei der Anpassung an den Klimawandel zu?
Besonders stark trifft die Hitze die Städte und Agglomerationen. Die Risiken dort sind aufgrund der dichten Bebauung, versiegelter Flächen, begrenzter Grünräume und eingeschränkter Luftzirkulation besonders ausgeprägt. Diese Faktoren führen zur Bildung sogenannter städtischer Wärmeinseln – Hitzezonen, in denen sich die Wärme staut, kaum entweichen kann und die entsprechend nachts weniger abkühlen. Grünflächen, Bäume und entsiegelte Böden können hier Abhilfe schaffen – nicht nur bei Hitze, sondern auch bei Starkniederschlägen. Eine klimaangepasste Stadtplanung ist entscheidend. Deshalb arbeiten Forschung und Städteplanung eng zusammen.
Schaffung und Vernetzung von Grünflächen
Erhalt und Schaffung von offenen Wasserflächen
Beschattung durch Bepflanzung
Wassereinrichtungen im öffentlichen Raum
Begrünung von Dächern und Fassaden
Entsiegelung (Entfernen von undurchlässigen Belägen wie z.B. Asphalt)
Erhalt und Entwicklung von Kaltluftschneisen
Wie wirkt sich Hitze in den ländlichen Gebieten aus?
In ländlichen Regionen tragen grüne Flächen zwar zur Milderung der Hitze bei – dennoch sind die Auswirkungen auch hier deutlich spürbar. Anhaltende Trockenperioden führen häufig zu Qualitätseinbussen, geringeren Erträgen oder sogar kompletten Ernteausfällen – besonders dann, wenn sie mit sensiblen Entwicklungsphasen der Pflanzen zusammenfallen. Die Anpassung an die neuen klimatischen Bedingungen wird zur Notwendigkeit: Hitzetolerante Kulturen, Sorten und Nutztierrassen gewinnen an Bedeutung. Auch natürliche Ökosysteme - z.B. aquatische - geraten zunehmend unter Druck. Gewässer und Kleinstbiotope leiden unter der Hitze – Amphibien und Fische sind besonders stark betroffen. Für sie bedeuten hohe Temperaturen eine akute Stressbelastung.

Die Blätter eines Baumes in Bern ändern ihre Farbe – es ist Anfang August 2022. Seit Beginn des Sommers wird die Schweiz von starken Hitzewellen und Dürreperioden heimgesucht. ©Anthony Anex/Keystone
Hitze und Trockenheit sind eine kritische Kombination
Häufig treten Hitze und Trockenheit gemeinsam auf und verstärken sich gegenseitig – ein sogenannter Compound-Effekt. Diese Wechselwirkung erhöht den Stress für Ökosysteme, Landwirtschaft und Wälder erheblich. Besonders in Wäldern kann das zu bedeutenden Schäden und erhöhter Waldbrandgefahr führen. Dabei sind Wälder nicht nur Holzlieferanten, sondern erfüllen auch wichtige Funktionen für den Schutz vor Naturgefahren und als Erholungsräume.
In der neuen Klima-Risikoanalyse für die Schweiz des BAFU identifizieren und bewerten Expertinnen und Experten Klimarisiken und klimabedingte Opportunitäten für die Schweiz bis ins Jahr 2060. Die Ergebnisse dienen als Grundlage für die künftige Klima-Anpassungsstrategie des Bundesrats und für die Entwicklung von Anpassungsstrategien und Massnahmenplänen in Kantonen und Regionen. Die grössten Risiken des Klimawandels entstehen durch Hitze, Sommertrockenheit, Naturgefahren und Veränderungen der natürlichen Lebensräume. Diese gefährden zunehmend die Gesundheit der Bevölkerung und sie belasten Infrastrukturen und die Umwelt. Um die gravierendsten Auswirkungen zu vermeiden, bleibt die konsequente Reduktion der Treibhausgasemissionen auf Netto-Null bis 2050 von übergeordneter Bedeutung.
Bei grosser Hitze denkt man unweigerlich auch an die Folgen in den Bergen.
Extreme Hitze macht auch vor den Bergen nicht Halt. Bis 2022 wurde die Nullgrad-Grenze nur einmal über 5000 Meter gemessen. In den vergangenen Sommern wurde dieser Wert mehrfach überschritten – 2023 lag die Nullgradgrenze bei rekordhohen 5298 Metern über Meer, also deutlich über dem Gipfel des Mont Blanc. Anders gesagt: Der gesamte Alpenraum stand unter Schmelze. Diese Entwicklung setzt Gletscher und Permafrost massiv unter Stress. Sobald die schützende Schneeschicht abgeschmolzen ist, werden dunkle Gesteinsflächen freigelegt, die sich stark erhitzen – die Wärme dringt tief ins Gestein ein. Die Folge: instabile Hänge. Ein eindrückliches Beispiel ist die Moosfluh oberhalb des Aletschgletschers im Wallis. Der Hang ist in Bewegung, die Bergstation wurde bereits an die neuen Gegebenheiten angepasst. Diese Veränderungen sind Ausdruck einer ganzjährigen Erwärmung – doch Hitzespitzen verschärfen die Situation zusätzlich.
Wer Hitzespitze sagt, denkt an Hitzerekorde. Ein Gebiet, auf dem Sie forschen.
Ein Hitzerekord bedeutet: Es ist heisser, als jemals zuvor gemessen – ein noch nie dagewesener Wert. Statistisch gesehen sollten Rekorde seltener werden, im Moment aber nehmen die Temperaturrekorde zu. Wir erleben sogar viele Rekorde, wo der vorherige Rekord um Längen gebrochen wird. Ein eindrückliches Beispiel ist die kanadische Hitzewelle Ende Juni 2021, die mehr als 5 Grad wärmer war. Nicht als der Durchschnitt, sondern als die vorherige Höchstmarke. Das ist bemerkenswert. Zehn Tage vorher war die Vorhersage präzise, aber die Prognostiker hatten ihren eigenen Modellen nicht getraut. In der App 5 Grad über dem bisherigen Rekord einzugeben, schien verrückt zu sein. Erst als die Welle näherkam, sahen sich die Forscher bestätigt. Temperaturrekorde sind eine direkte Folge der aktuell sehr hohen Erwärmungsrate.
Das müssen Sie erklären.
In den vergangenen zehn bis zwanzig Jahren hat die Erwärmung eine Dynamik erreicht, wie wir sie zuvor noch nie erlebt haben. Dafür gibt es mehrere Gründe: Vor allem steigt die Konzentration von Treibhausgasen nach wie vor rasch an. Zudem hat in Europa der Rückgang von Luftschadstoffen – insbesondere Feinstaub und anderen Aerosolen – einen messbaren Einfluss. Diese Partikel wirken in der Atmosphäre kühlend, da sie einen Teil der Sonnenstrahlung reflektieren. Werden sie reduziert, fällt dieser dämpfende Effekt weg – die tatsächliche Erwärmung wird sichtbarer. Aus gesundheitlicher Sicht ist die Reduktion von Feinstaub selbstverständlich zu begrüssen. Doch klimatisch führt sie dazu, dass sich das volle Ausmass der Erwärmung jetzt deutlich zeigt. In keiner anderen Region weltweit hat die Hitze in den letzten Jahrzehnten so rasch zugenommen wie in Westeuropa. Ein ähnlicher Prozess steht anderen Regionen noch bevor, etwa in Indien oder China. Auch dort wird die Reduktion von Luftschadstoffen künftig das wahre Ausmass der Klimaveränderung offenlegen.
Wie stark leidet die Verkehrsinfrastruktur unter Hitze?
Besonders Schienen können sich bei grosser Hitze ausdehnen und verformen – mit potenziellen Folgen für die Sicherheit und Pünktlichkeit des Bahnverkehrs. Solche Probleme kennen wir nicht nur aus der Schweiz, sondern vor allem aus Regionen mit noch extremeren Temperaturen. Auch im Strassenbau wird reagiert: Es werden hitzeresistentere Beläge entwickelt und getestet – teilweise sogar mit helleren Oberflächen, um die Aufheizung zu reduzieren.
In Hitzesommern kam es zu Übersterblichkeit. Was zeigen hier die Daten - wie gut sind wir heute an die Hitze angepasst?
Während der Hitzewellen in den Jahren 2003, 2015, 2018 und 2022 wurde eine deutliche Übersterblichkeit festgestellt. Damals lag die Zahl der Hitzetoten sogar höher als die Zahl der Verkehrstoten. Das zeigt: Wir sprechen hier von einem ernst zu nehmenden Effekt auf die öffentliche Gesundheit. Insbesondere ältere Menschen – und dabei überproportional häufig ältere Frauen – waren von den Folgen der Hitze betroffen. Auch Personen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Atemwegserkrankungen zeigen eine erhöhte Vulnerabilität.
Es ist zunehmend zu beobachten, dass auch gesunde Menschen bei extremer Hitze hospitalisiert werden müssen. Das ist ein Aspekt, der in der öffentlichen Wahrnehmung bislang kaum verankert ist. Immerhin gibt es erste Anzeichen dafür, dass sich die Bevölkerung allmählich an die zunehmende Hitzebelastung anpasst. Bei vergleichbaren Temperaturen wie in früheren Hitzewellen ist die Sterblichkeit heute zum Teil etwas geringer. Das deutet auf erste Erfolge von Anpassungsmassnahmen hin. Aber unsere Anpassungsfähigkeit ist beschränkt und die Herausforderung wird weiter zunehmen – auch, weil Hitzewellen künftig häufiger und intensiver werden dürften.
In Ihrer Forschung beschäftigen Sie sich auch mit Worst-Case-Szenarien. Wie sehen die aus?
Wir versuchen zu antizipieren und fragen uns: Wie heiss kann es in Zukunft werden? Und es ist ehrlich gesagt gar nicht so trivial herauszufinden, ob es bei uns 42 oder 45 Grad oder sogar noch mehr werden kann. Im Moment versuchen wir abzuschätzen, wie lange eine Hitzeperiode andauern könnte. Mit den Worst-Case-Szenarien wollen wir die Folgen von längeren Hitzeperioden in der Stromversorgung oder im Gesundheitsbereich simulieren.
Warum sind Trockenperioden schwerer vorherzusagen als Hitzewellen?
Hitzewellen entwickeln sich über wenige Tage – meist innerhalb eines Zeitraums von fünf bis zehn Tagen, in dem Wettermodelle recht zuverlässig sind. Trockenperioden hingegen entstehen schleichend über Wochen. Ihre Entwicklung ist komplexer, insbesondere wenn es darum geht, lokale Niederschläge lange im Voraus vorherzusagen. Ein breit angelegtes Monitoring ist deshalb entscheidend. Mit der neuen nationalen Trockenheitsplattform steht ein wichtiges Instrument zur Verfügung. Aber letztlich lässt sich Hitze auch einfacher messen als Trockenheit.

Erich Fischer
ist Wissenschaftler an der ETH Zürich. Seine Themengebiete umfassen Klima- und Wetterextreme, Hitzewellen, Klimaprojektionen und Quantifizierung von Unsicherheiten.