Trockenperioden kommen als Folge des Klimawandels in der Schweiz häufiger vor als früher. Sie sind nicht nur auf den Sommer beschränkt. Gut zu sehen war das Anfang April 2025, da galt für weite Teile Graubündens «Waldbrand: Erhebliche Gefahr, Stufe 3». Gleichzeitig führte der Untersee des Bodensees so wenig Wasser wie seit über 50 Jahren nicht mehr. Grund war ein Schneedefizit im gesamten Alpenraum im Winter 2024/25, das fehlende Schmelzwasser führte insbesondere im Norden und in den östlichen Voralpen zu einem Rückgang der Abflüsse - begleitet von einem anhaltenden Niederschlagsmangel. Diese Veränderung stellt Menschen, Landwirtschaft, Energieversorgung und Ökosysteme vor grosse Herausforderungen. Wie geht der Kanton Graubünden mit dieser Entwicklung um?  

Herr Güttinger, Graubünden ist nicht nur der flächenmässig der grösste Kanton, sondern topografisch sehr vielfältig. Eine besondere Herausforderung?   
Graubünden ist stark alpin geprägt, hat 150 Täler und viele Berge. Der Piz Bernina ist ein 4000er, der tiefste Punkt liegt an der Tessiner Kantonsgrenze auf nicht einmal 300 Meter über Meer. Naturereignisse treffen nicht selten nur regional ein. So bedeutet Föhn im Rheintal Regen für das Misox und bei Nordföhn im Süden staut es bei uns in Chur. Besonders trocken sind unsere inneralpinen Täler wie das Domleschg, das Unterengadin oder Mittelbünden – traditionell Regionen mit wenig Niederschlag. Über einen so grossen und zerklüfteten Kanton pauschale Aussagen zu treffen, ist kaum möglich. Ich sage deshalb gerne: Der Kanton Graubünden ist im Kleinen die ganze Schweiz.  

Wie zeigt sich die Trockenheit konkret? 
In den besonders trockenen Tälern sind schon heute grosse Anstrengungen nötig, um überhaupt noch eine produktive Graswirtschaft zu ermöglichen. Nur durch Bewässerungsanlagen kann die Landwirtschaft ihre Erträge sichern. Die Alpbetriebe sind im Sommer auf ausreichend Wasser für das Vieh angewiesen. Das war in den letzten Jahren nicht immer gegeben – Helikopter mussten Wasser auf die Alpen fliegen. Wichtig ist dabei, dass das Wasser aus grossen Fliessgewässern entnommen wird, um kleinere Bäche nicht zusätzlich zu belasten. In manchen Fällen mussten die Bauern ihr Vieh früher von den Alpen holen. Wir beobachten auch einen Anstieg an Gesuchen für zusätzliche Trinkwasserbrunnen oder neue Wasserfassungen. Technische Lösungen wie Tröpfchenbewässerung, etwa für Spezialkulturen im Rheintal, sind Beispiele für einen effizienteren Umgang mit Wasser. Es gibt bei Trockenheits-Ereignissen regionale Unterschiede, aber: Es kann alle treffen.

Und welche Auswirkungen hat Trockenheit ausserhalb der Landwirtschaft? 
Der Wasserstand von kleinen Gewässern war in der Vergangenheit zum Teil so niedrig, dass Notabfischungen nötig wurden. Die Waldbrandgefahr nimmt zu, was Feuer- und Feuerwerksverboten zur Folge haben kann. Die Anpassungsfähigkeit der Wälder an den Klimawandel ist ein wichtiges Thema. Dabei ist die Förderung zukunftsfähiger Baumarten zentral. Aber auch intern wirken sich Trockenheits-Ereignisse aus: Bereits im Rekordsommer 2018 hat der Kanton Graubünden einen Teilstab Trockenheit gebildet. Verschiedene Amtsstellen haben ihre Massnahmen koordiniert und eine gemeinsame Kommunikation definiert - gegenüber der Bevölkerung und den Medien. Die Ereignisse werden extremer, das zeigen auch die Daten zum Grundwasser.  

Bilder von August 2021 und dem Trockensommer 2022 

Wie nimmt die Bevölkerung das Thema Trockenheit wahr?  
Im Gegensatz zu anderen Naturgefahren kommt eine Trockenheit schleichend und sie betrifft nicht immer die gesamte Bevölkerung gleich stark. Der einzelne Bürger, die einzelne Bürgerin ist heute selten direkt betroffen. In gewissen Fällen wird ein Bewässerungsverbot für Rasen oder ein Waschverbot für Autos ausgesprochen, aber eigentlich ist schönes und trockenes Wetter beliebt.  Mein Eindruck: Für die Bevölkerung ist es nicht einfach, die Gefährdung überhaupt wahrzunehmen. Da sind Medien wichtig, die das Ereignis in einen Kontext betten, erklären, warum die Pegelstände tief sind und was dies für die Landwirtschaft und ihre Ernte bedeutet oder ob Waldbrandgefahr herrscht.  

Die aktuellen Daten zeigen im Vergleich zum langjährigen Mittel ein Schneedefizit in den Alpen und gleichzeitig schauen die Skistationen auf einen guten Winter zurück. Wie passt das zusammen? 
Die technische Antwort auf trockene Winter sind Beschneiungsanlagen. Dank ihnen sind gut präparierte Pisten möglich, die langen Hochdruckphasen haben ihren Teil zum guten Skiwinter beigetragen. Ein Blick neben die Pisten und vor allem auf die Niederschlagsmenge zeigt, dass wir ein Schneedefizit verzeichnen. In den letzten Jahren konnten die kleinen, gegen Süden exponierten Skistationen kaum oder gar nicht öffnen. Es überrascht mich nicht, dass wir schon Anfang April in weiten Teilen Graubündens eine Trockenheit erlebten.

Es steht neu eine nationale Trockenheitsplattform zur Verfügung. Was versprechen Sie sich davon? 
In meinen Augen ist die Plattform ein Quantensprung. Sie informiert über die aktuelle Trockenheitssituation sowie vergangene Ereignisse und stellt Prognosen für die Zukunft zur Verfügung. Die Plattform erlaubt den Kantonen und der Öffentlichkeit auf sehr gute, übersichtlich und professionell aufbereitete Daten Zugriff zu haben. Sie bietet einen Trockenheitsindex und sollte die Referenz sein bei der Einschätzung von Ereignissen. Ich verspreche mir dadurch viel in der Kommunikation mit der Bevölkerung oder mit den Medien. Ich hätte mir im Rekordsommer 2018 schon eine solche Plattform gewünscht.

Portrait Daniel Güttinger

Daniel Güttinger

Daniel Güttinger (58) ist stellvertretender Amtsleiter und Abteilungsleiter Verfahrenskoordination im Amt für Natur und Umwelt (ANU) Graubünden. Er und sein Team prüfen Stellungnahmen der Fachabteilungen in Bezug auf Vollständigkeit und Nachvollziehbarkeit - auch Baueingaben in Zusammenhang mit Trockenheit. Bei den Vorarbeiten zur Plattform hat Güttinger in der Begleitgruppe "Auf- und Ausbau Frühwarnsystem Trockenheit Bund" mitgewirkt. Daniel Güttinger ist promovierter Kulturingenieur mit Nachdiplom in Raumplanung (beides ETH Zürich) und lebt mit seiner Familie in Chur.