Herr Dönni, wie geht es den Fischen in unseren Bächen und Flüssen?
Nicht gut. Einige Arten sind schon ausgestorben. Etwa ein Drittel der Arten ist heute gefährdet, andere kommen nur noch selten vor. Und in vielen Fliessgewässern dominieren einige wenige Fischarten.

Die kleine Elritze gehört zu den wenigen Arten, die während des Untersuchungszeitraums häufiger gefunden wurden. ©Michel Roggo
Das Wasser ist doch sauberer geworden. Hilft das nicht?
Tatsächlich sind die Belastungen durch Nährstoffe und offensichtliche Verschmutzung dank besserer Abwasserreinigungsanlagen stark zurückgegangen. Unsichtbare Verunreinigungen wie Pflanzenschutzmittel, Schwermetalle, hormonaktive Substanzen oder Mikroplastik haben dagegen wohl eher zugenommen. Hier fehlen allerdings Daten von früher. Ein grosses Problem ist, dass viele Gewässer nicht in natürlichem Zustand sind. In den kanalisierten und dadurch sehr monotonen Bächen und Flüssen können – wenn überhaupt – nur noch sehr anspruchslose Arten leben.
NAWA TREND Biologie ist ein Programm der «Nationalen Beobachtung Oberflächenwasserqualität NAWA», das die biologische Qualität von Fliessgewässern in der Schweiz untersucht, dokumentiert und beurteilt sowie Grundlagen für die Politik schafft. Die Untersuchungen basieren auf Bioindikatoren wie Kieselalgen, Wasserpflanzen, wirbellosen Kleinwasserlebewesen – und Fischen. Die Daten werden seit 2012 periodisch und standardisiert an den gleichen Standorten kleiner und mittlerer Fliessgewässer in der Schweiz erhoben. Die Ergebnisse der Analysen von 2023 liegen nun vor.
Welchen Einfluss hat der Klimawandel?
Auch seine Folgen tragen dazu bei, dass sich Lebensräume verändern. Die Wassertemperatur sowie Geschiebe- und Wassermengen verändern sich. Es kann zum Beispiel sein, dass die Eier einer Art fortgeschwemmt werden, weil in der Zeit, in der sie sich entwickeln, viel mehr Wasser fliesst als früher.
«Etwa ein Drittel der Fischarten ist gefährdet, einige sind bereits ausgestorben.»
Fische haben heute einen schweren Stand, welches sind die Gründe?
Mehrere Faktoren spielen dabei eine Rolle – etwa die Qualität und Menge des Wassers sowie die Dichte der menschlichen Besiedlung. Das grösste Problem ist meiner Meinung nach allerdings, dass in den Gewässern oft vielfältige Strukturen fehlen, wie Vertiefungen, Buchten, Flachwasserzonen, Ansammlungen von Totholz und so weiter, in denen auch empfindliche Arten Lebensräume finden. Fehlen diese, fehlen auch die entsprechenden Arten.

Empfindliche Fischarten wie die Barbe sind besonders wichtig für die Bewertung des Gewässerzustands. ©Michel Roggo
Könnte man diese nicht wieder einsetzen?
Einfach ein paar Fische aussetzen, löst das Problem nicht. Arten wieder anzusiedeln, ist anspruchsvoll! Damit sie überleben können, müsste man parallel für geeignete Lebensräume sorgen. Zudem müsste man die Tiere zuerst züchten. Und zwar solche, die genetisch geeignet und an den jeweiligen Lebensraum angepasst sind und so eine Chance haben, zu überleben.
Weshalb sind bestimmte Arten überhaupt empfindlich?
Fische wie beispielsweise Äsche, Bitterling oder Forelle sind spezialisiert auf ganz bestimmte Lebensräume und Bedingungen. Etwa was Temperatur, Futter oder Laichmöglichkeiten betrifft. Der Bitterling zum Beispiel legt seine Eier ausschliesslich in grosse Muscheln ab. Gibt es keine, hat er ein Problem. Arten, die flexibler sind, haben es leichter und vermehren sich stärker. Das führt dazu, dass in vielen Gewässern anpassungsfähige Fische wie Alet, Schmerle oder Elritze vorherrschen.

Die bodenbewohnende Groppe – hier aufgenommen in der Ärgera (FR) – lebt in Bächen mit steinigem Untergrund. Wurzeln und Laub schützen sie vor Fressfeinden und starker Strömung. ©Michel Roggo
Ist das nicht einfach ein natürlicher Vorgang, dass Arten verschwinden?
In der Natur überleben die, die am besten an ihre jeweiligen Lebensräume, sogenannte Nischen, angepasst sind. In natürlichen Gewässern gibt es ganz viele verschiedene davon. Ändern sich die natürlichen Umweltbedingungen, entstehen neue Nischen. Spezialisierte Arten schaffen es entweder, sich anzupassen oder sie verschwinden. Heute leben dagegen in vielen Fliessgewässern vor allem Fische einiger weniger Arten, weil wegen der Umweltveränderungen durch den Menschen viele Lebensräume verschwunden sind.
Wieso ist Artenvielfalt so wichtig?
Fallen bestimmte Fischarten weg, kann ein Ökosystem stabil bleiben oder es bricht zusammen. Je nach deren Rolle. Haben wir viele Arten, die an einen Standort angepasst sind, können andere die betreffende Rolle übernehmen. Das System funktioniert weiter. Das heisst, dass viele standorttypische Arten die Widerstandskraft eines Ökosystems erhöhen. Es kann bei Störungen leichter wieder ins Gleichgewicht finden.

«Generalisten» wie der Alet (vorne) kommen besser klar mit sich verändernden Lebensbedingungen; die «Spezialistin» Nase aus der gleichen Familie (hinten) wird hingegen immer seltener gefunden. ©Rainer Kühnis
Wie lässt sich die Lage der Fische verbessern?
Wir haben gut zwischen Nutzen und Schützen austarierte Gesetze. Diese müssen wir weiterhin konsequent umsetzen. Um die für einen Standort typische Artenvielfalt zu erhöhen, sind Revitalisierungen ein gutes Mittel. Dabei versucht man, Bäche oder Flüsse wieder zu ihrem natürlichen Zustand mit vielfältigen und vernetzten Lebensräumen zurückzuführen und die natürlichen Prozesse wieder in Gang zu bekommen. Dann kommen auch die verschwundenen Arten wieder.
Was braucht es dafür?
Natürlich genügend und sauberes Wasser. Zudem gibt man den Bächen und Flüssen idealerweise wieder mehr Raum und lässt auch Dynamik durch Geschiebe, Schwemmholz oder den Biber zu. Ist nicht genügend Platz vorhanden, kann man zum Beispiel mit Wurzelstöcken oder Steinblöcken Nischen schaffen oder künstlich Halbinseln oder Buchten anlegen. Wichtig ist, zu schauen, was welche Massnahme konkret bewirkt. Hier können wir noch dazuzulernen. Dafür wäre es auch sinnvoll, wenn sich Beteiligte aus verschiedenen Regionen vermehrt austauschen.

Werner Dönni
ist Fischbiologe und arbeitet beim Ökobüro Fischwerk in Luzern. Der 63-jährige Experte hat sich unter anderem mit Lachswiederansiedlungen in der Schweiz, Planung von Fischwanderhilfen bei Wasserkraftwerken oder Schutz und Förderung der Seeforelle beschäftigt. Beim Messprogramm «Nationale Beobachtung Oberflächenwasserqualität NAWA» war er Projektleiter des Moduls Fische für die Erhebungen 2012, 2015, 2019 und 2023 und hat die Erarbeitung des Fachberichtes begleitet.