Stadt und Natur – sie werden gerne als Gegensatz dargestellt, als Widerspruch gar. Zu Unrecht, wie immer mehr Fachleute aus Städtebau, Raumplanung und Umwelt meinen. Nicht gegen die Natur soll gebaut werden, sondern mit ihr. Denn für die Anpassung an den Klimawandel, den Erhalt der Artenvielfalt und die Gesundheit und Lebensqualität der Bevölkerung braucht es mehr Platz für Pflanzen, mehr versickerungsfähige Böden und mehr Wasser in der Siedlung. Dabei lassen sich die Ökosystemleistungen der Natur nutzen. Zu diesen natürlichen und nützlichen Prozessen gehören unter anderem die Temperaturregulierung oder die Reinigung der Luft. In einer «grünen Stadt» werden Grünräume geschaffen, miteinander vernetzt und gepflegt. Eine «blaue Stadt» bezieht zudem den Wasserkreislauf überlegt mit ein.
«Unsere Städte beherbergen bemerkenswert viele Arten. Sie dienen auch als Refugien für Tier- und Pflanzenarten, die im Umland – also in den Wäldern, an den verbauten Gewässern und im intensiv genutzten Agrarland – keine Lebensräume mehr finden. Doch der Druck auf die Biodiversität ist auch hier hoch», sagt Claudia Moll von der Sektion Landschaftspolitik des BAFU. «In den letzten rund zwanzig Jahren hat sich der Fokus jedoch erweitert, vor allem, weil man erkannt hat, wie dringend es ist, die Herausforderungen des Klimawandels anzugehen, und wie gross der Wert der Natur für Gesellschaft und Wirtschaft ist.» Ging man früher davon aus, dass die Natur am Stadtrand aufhört, beziehen moderne Landschaftsdefinitionen auch städtische Räume ein, womit sich diese Stadt-Natur-Grenze auflöst (siehe Box «Schweizer Stadtlandschaft»).
Mehr Artenvielfalt, weniger Hitze
Mit einfachen Massnahmen kann der Siedlungsraum zur Förderung der Biodiversität beitragen. Wer auf die einförmige Thujahecke verzichtet und unterschiedliche Straucharten pflanzt, schafft Lebensräume für eine breitere Vielfalt an Lebewesen: von Kleinsäugern, Vögeln und Insekten bis zu Mikroorganismen. Oder wenn eine Schafherde eine Weide stutzt, sorgt das für eine heterogene Pflanzenstruktur und damit für eine grössere Artenvielfalt.
In der Schweiz setzt sich ein Pilotprojekt aus dem Aktionsplan Biodiversität des Bundesrats für die Förderung von Biodiversität und Landschaftsqualität in Agglomerationen ein, sagt Claudia Moll. Und mit dem im Natur- und Heimatschutzgesetz verankerten ökologischen Ausgleich haben Kantone und Gemeinden ein gutes Instrument in der Hand, um in stark genutzten Gebieten wie dem Siedlungsraum einen Verlust an natürlichen Werten zu verhindern. Nicht zuletzt auch, weil die Städte bei der Anpassung an die Klimaerwärmung eine zentrale Rolle spielen – auch dies eine politische Priorität der Schweiz.
«Die Anpassungsstrategie des Bundesrats fokussiert auf die grössten Risiken des Klimawandels», erklärt Roland Hohmann, Co-Leiter der Sektion Klimaberichterstattung und ‑anpassung des BAFU. «Zu den Risiken gehört besonders der wachsende Hitzestress mit seinen Folgen für die Gesundheit der Menschen und für die Umwelt. Es geht darum, unseren Siedlungsraum umzugestalten und mit Grünräumen einen wichtigen Beitrag zur Hitzeminderung zu leisten», sagt Hohmann. Hier spielen grünere Städte eine entscheidende Rolle, deren Bepflanzung für erträgliche Temperaturen sorgen soll. «Die klimaangepasste Siedlungsentwicklung erhöht auch die Aufenthalts- und Lebensqualität.»
Bäume und weitere Pflanzen sorgen für Abkühlung, weil sie Schatten spenden und ihre Blätter Wasser verdunsten. Dadurch wird die Umgebungsluft abgekühlt. Dieser Kühlungseffekt kann beträchtlich sein: Ein Baum an einer Strasse senkt die Umgebungstemperatur im Sommer um bis zu sieben Grad. Allerdings: «Baumarten, die heute gepflanzt werden, sollten auch das Klima in fünfzig Jahren gut ertragen können», sagt Hohmann. «In Pilotprojekten wie etwa einem der Stadt Bern, das vom BAFU mitfinanziert wird, werden Stadtbäume identifiziert, die dem Klima der Zukunft gewachsen sind.» Dazu gehören beispielsweise die Zerreiche, die Orientalische Hainbuche oder der Schneeballblättrige Ahorn – alles Baumarten aus Südosteuropa, dessen aktuelles Klima jenem der Schweiz in fünfzig Jahren nahekommen könnte. Studien zeigen, dass ein Park mit einer Fläche von einem Hektar – das ist etwas grösser als ein Fussballfeld – ausreicht, um das Klima der umliegenden Gebäude zu beeinflussen.
Globales Problem, lokale Lösungen
All dies gilt nicht nur für die Schweiz. Der Gedanke der «Green Cities» ist global, mit der UN-Initiative «Greener Cities Partnership», aber auch auf europäischer Ebene mit der New Leipzig Charter (2020), dem European New Deal (2020), dem New European Bauhaus (2021) und dem Projekt BiodiverCities (2020–2023). «Diese internationalen Programme helfen, die Bedeutung des Themas auf politischer Ebene und in der Bevölkerung zu verankern», sagt Claudia Moll. Jede Lösung müsse lokal und dem örtlichen Kontext angepasst werden. Dennoch lässt sich von ausländischen Pionierstädten und Pilotprojekten viel lernen, etwa von den Städten Kopenhagen, Wien oder Berlin.
Laut der Mitgründerin der Zürcher Agentur für Städtebau sa_partners Dunja Kovari sind einige Grundsätze universell: «Es braucht in der Stadt Frischequellen wie Bäume, Frischluftkorridore und Wasserversickerungszonen.» Genauso wichtig sei es, den Behörden Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen und auch der Bevölkerung die Vision einer grüneren Stadt zu vermitteln, indem die persönlichen Vorteile aufgezeigt und alle in die raumplanerischen Überlegungen einbezogen werden. Für die Stadtplanenden sind diese Massnahmen eine langfristige Investition, sagt Kovari. «Grünere Städte sind ein Muss. Es ist nicht billiger, sie auf morgen zu verschieben. In der Schweiz haben wir das Geld und die Kompetenzen, um Lösungen zu entwickeln, die auch für Städte im Ausland interessant sind.»
Das Silodenken aufgeben
Für Kovari ist das eine finanzielle und politische Frage. «Der Staat kann und muss in die blau-grüne Stadt genauso investieren wie in die Verkehrswege.» Der «Return on Investment» ist eine bessere Lebensqualität für die Bevölkerung. «Dazu brauchen wir sowohl Grossprojekte, die vom Staat oder von privaten und institutionellen Investoren verantwortet werden, als auch lokale Initiativen – vom Kistengarten in der Quartierstrasse bis zum Anbau von Wildpflanzen im Hinterhof.»
«Um die Städte grüner zu machen, müssen alle Beteiligten – von den Investoren über die Architekten und Landschaftsarchitektinnen bis hin zu den Facility Managern – ihr Silodenken aufgeben», stellt Kovari klar. «Aber auch die verschiedenen Behörden, etwa für Raumplanung, Verkehr, Umwelt, Wald oder Lärmschutz», wie Claudia Moll hinzufügt. Für diese Anstrengung sind alle Stufen gefordert, von den nationalen Strategien bis zu den Fachbehörden der Gemeinden und Bauherren.
Die grossen Schweizer Städte arbeiten denn auch daran, ihre Grünflächen zu erweitern. Ein häufig genanntes Beispiel ist Basel. Hier summen über den Dächern Wildbienen, im Friedhof begegnet man Rehen und zwischen Strasse und Tramlinie weiden Schafe. Laut Emanuel Trueb, dem Leiter der Stadtgärtnerei, hat Basel als Stadtkanton eine besonders günstige Ausgangslage. Hier sind die Wege kürzer als in anderen Kantonen, in denen die kantonalen Behörden zuerst die Vorhaben der Gemeinden koordinieren müssen. Ein weiterer Vorteil sei, dass die Stadtgärtnerei seit 1861 existiert und 280 Mitarbeitende beschäftigt. «Damit profitieren wir von einem grossen Erfahrungs- und Kompetenzschatz, den es für die systematische Begrünung des Siedlungsraums braucht.»
Zudem hat die Stadt griffige Massnahmen getroffen, um das Grün im städtischen Raum zu fördern. Seit 1999 müssen alle Dächer ab einer Fläche von zehn Quadratmetern und bis zu einer Neigung von sechs Grad bepflanzt werden. Interessierte können in der Rheinstadt für Begrünungsprojekte – beispielsweise für begrünte Fassaden, Baumpflanzungen oder das Anlegen von artenreichen Pflanzenflächen – Finanzhilfen beantragen. Dazu steht der Mehrwertabgabefonds zur Verfügung, der die Aufwertung des Wohnumfelds durch öffentliche Grünanlagen fördert.
Mit den bestehenden nationalen Rahmenbedingungen ist der Basler Stadtgärtner Trueb zufrieden. «Aktuell sind wir nicht durch fehlenden Handlungsspielraum eingeschränkt, sondern durch fehlende Mittel. Jeder begrünte Quadratmeter zählt. Aber klar, Grünflächen sind anspruchsvoller als Betonflächen, sowohl finanziell als auch beim Unterhalt.» Lebewesen haben einen langen Zeithorizont. Es reiche nicht, einen Baum zu pflanzen, nötig sind auch die Ressourcen, um ihn jahrzehntelang zu pflegen. «Die Mehrheit der Bevölkerung wünscht sich eine grünere Stadt, hat aber nicht die Macht, die Zeit oder das Know-how, um dazu beizutragen. So bleiben nur wenige Akteure am Thema dran, der Staat, die Liegenschaftseigentümer und die Privatwirtschaft.»
Neuer Standort für eine Schulanlage
Von mehr Natur in der Stadt sollen alle profitieren können. Ein spannendes Beispiel in diesem Zusammenhang sei die neue Schulanlage Tüffenwies in Zürich, die mitten in einem Quartierpark hätte entstehen sollen, sagt Ana Peric, Spezialistin für Städtebau und Dozentin am Institut für Raum- und Landschaftsentwicklung der ETH Zürich. «Anwohnergruppen sahen die Umnutzung dieses Grünraums als negative Entwicklung», sagt Peric. «Sie setzten sich erfolgreich dafür ein, von den Behörden gehört zu werden. Das zeigt auch, dass aus einem Konflikt eine Zusammenarbeit entstehen kann.»
Letztlich wurde für die Schulanlage ein neuer Standort gefunden und der Quartierpark blieb der Bevölkerung erhalten. «Das Konzept der Green Cities scheint in den grossen Schweizer Städten gut voranzukommen», sagt Ana Peric. Dabei sollen in Zukunft vermehrt auch die sozialen Aspekte eine wichtige Rolle spielen. Grünräume dienen immer auch dem Wohlbefinden des Menschen. Mit solchen Mehrgewinnstrategien ist Claudia Moll mehr als einverstanden. «Der Bund hat den urbanen Raum als wichtigen Tätigkeitsbereich anerkannt, und setzt sich deshalb dafür ein, Kantone und Gemeinden bei ihrem Engagement für mehr Grün in ihren Städten zu unterstützen.»
Die Puzzelteile des Gesamtbilds grüne Stadt
Wie die Vegetation im städtischen Umfeld mehr Platz erhält – von ganz einfachen bis zu anspruchsvollen Möglichkeiten.
Dachbegrünung: Von Kräutern auf Kiesdächern bis hin zu Bäumen in Pflanztrögen ist alles möglich. So lässt sich gerade im Sommer die Gebäudedämmung verbessern, das Dach vor UV-Strahlung und grossen Temperaturschwankungen schützen, aber auch die Fotovoltaikanlage abkühlen und somit effizienter machen.
Fassadenbegrünung sorgt für eine bessere Vernetzung der Grünräume.
Tramlinien und Parkplätze sollen entsiegelt und begrünt werden.
Stadtbäume erbringen vielfältige Leistungen und erhöhen die Wohn- und Aufenthaltsqualität: Ihre Blätter binden Staub und Gase, ihr Wurzelraum speichert Wasser, ihr Schattenwurf gleicht Temperaturextreme aus und reduziert den Kühlbedarf von Bauten. Eine gute Durchgrünung der Siedlungsräume verbessert zudem die Versickerungsleistung bei Starkniederschlägen und senkt das Hochwasserrisiko. Begrünte Baumscheiben oder zusammenhängende Pflanzstreifen können die Artenvielfalt fördern und zur Schwammstadt beitragen, wenn das Wasser frei zwischen ihnen zirkulieren kann.