Höhe verändert den Blickwinkel. Ganz besonders gilt dies, wenn es um Landschaft geht. Elise Riedo erwartet uns auf dem Sauvabelin-Turm, im Norden von Lausanne. Die hölzerne Plattform des Aussichtsturms gibt den Blick frei auf die «grosse Landschaft», wie sie die Landschaftsarchitektin und Raumplanerin nennt. Direkt unter und um uns herum liegt der Waadtländer Hauptort und weiter weg fügen sich der Genfersee, die Alpen und der Jura zu einem 360-Grad-Panoramabild zusammen. Von hier oben, hoch über der Stadt, fällt auf, wie grün alles ist: Überall scheint Vegetation die Gebäude zu umhüllen. «Es sieht fast aus, als würden die Gebäude aus einem Blätterdach ragen», bemerkt das Geschäftsleitungsmitglied des Büros Urbaplan. «Allerdings ist das bestimmt nicht der gleiche Eindruck, den die Menschen unten auf der Strasse haben», auf der Ebene der «kleinen Landschaft», fügt sie hinzu. Seit 2022 gehört Elise Riedo dem Pool von Fachleuten an, die im Auftrag des BAFU Gemeinden zum Thema Landschaft beraten. Orbe (VD), Val-de-Travers (NE) und Pruntrut (JU) haben bereits von ihrer Sachkompetenz profitiert. Ein Gespräch in 35 Metern Höhe.
Landschaft, was ist das?
Elise Riedo: Das ist alles, was man draussen sieht. Der Freiraum. Lange Zeit wurde der Begriff mit der Natur in Verbindung gebracht, doch heute erkennen wir an, dass Landschaft überall ist. Sobald ich in ein Gebiet eingreife, gestalte ich Landschaft. Deshalb sage ich oft, dass Landschaft die Matrix für zahlreiche öffentliche Politiken ist, weil sie Verbindungen schafft zwischen ganz unterschiedlichen Themenfeldern wie Mobilität, Biodiversität, Wasser oder Gesundheit.


Was lässt sich über die Landschaft vom Sauvabelin-Turm aus sagen?
Zunächst einmal, dass sie einmalig ist. Dann auch, dass sie vielfältig ist und jeder Landschaftstyp seine eigenen Herausforderungen mitbringt. Im Süden thront die Kathedrale von Lausanne inmitten einer Umgebung von hohem Denkmalwert. Der Westen von Lausanne ist dicht bebaut, mit wenig Bäumen und mehr zersplittert. Das ist die sogenannte Alltagslandschaft, die es zu pflegen gilt. Mein Beruf besteht zu einem grossen Teil darin, gerade auf diese Landschaft einzuwirken. Entlang des Jura und in der Ebene steht die Landschaft unter Druck. Sie soll die Bevölkerung ernähren und als grosser Garten dienen. Im Jura und in den Alpen gelangen die Menschen ganz mühelos in die Naturlandschaften, über Infrastrukturen, die oft nicht ins Landschaftsbild passen. Die Erschliessung dieser Regionen ist eine politische und touristische Herausforderung.
Was sind die dringendsten Herausforderungen der Landschaftsplanung von heute?
Aus meiner Sicht sind das der Klimawandel, die Biodiversität und die Notwendigkeit, das Zufussgehen in einer ansprechenden und sicheren Umgebung zu ermöglichen.
Welche Massnahmen können ergriffen werden, um diese Probleme anzugehen?
Um dem Klimawandel zu begegnen und die Biodiversität zu fördern, sollten wir jede mögliche Fläche begrünen – nicht nur mit Bäumen, sondern auch mit Büschen und Gräsern. Damit Wege für Menschen und Tiere entstehen, müssen alle Vorkommen von potenziell begrünbaren Flächen identifiziert und miteinander vernetzt werden. Auch der Unterhalt kann angepasst werden, indem weniger oder später gemäht oder geschnitten wird. Eine weitere wichtige Massnahme ist das Aufbrechen versiegelter Böden, um das Wasser dort zurückzuhalten oder versickern zu lassen, wo es hinfällt. Trinkwasserbrunnen und Bänke im Schatten tragen dazu bei, Hitzeperioden leichter zu überstehen.
Landschaftsplanung erfordert ein spezifisches Fachwissen, das in vielen Gemeinden fehlt. Das gilt insbesondere für kleine Ortschaften, die nicht unbedingt über technische Dienste verfügen. Diese haben die Möglichkeit, sich bei den kantonalen Fachstellen beraten zu lassen. Gemeinsam mit den Kantonen hat das BAFU einen Pool aus 45 Landschaftsfachleuten aufgebaut, an den sie sich wenden können. Das Programm «Impuls-Landschaftsberatung» wurde im Nachgang zum Pilotprojekt, das von 2021 bis 2024 in über 60 Gemeinden durchgeführt wurde, dauerhaft eingerichtet. Die Hälfte seiner Kosten trägt der Bund, den Rest übernehmen die Kantone mit Anteilen von bis zu fünfzig Prozent. «Dieses Programm soll Ideen anstossen», erklärt Elise Riedo, die vom Nutzen «dieses Blicks von aussen» überzeugt ist. «Es ist ein wenig so, wie wenn Sie für einen Gesundheitscheck zum Arzt gehen.» Elise Riedo, die in drei Jahren bereits drei Gemeinden in der Romandie beraten hat, versucht, jeweils Lösungen zu finden, die wenig Ressourcen benötigen. «Das kann zum Beispiel heissen, bestehende Wege miteinander zu verbinden, einen Wettbewerb zur Installation von Bänken auf die Beine zu stellen, Teer an den Stellen zu entfernen, wo er unnötig ist … Das alles sind keine Grossprojekte. Wir wollen vermeiden, für jede Idee ein aufwendiges Verfahren einzuleiten.»
Es bleibt nicht mehr viel Raum in der Stadt
Im Grunde ist alles gebaut, was gebaut werden konnte. Einer der letzten Hebel sind Räume, die von Autos besetzt werden. Die Autos sollen nicht ausgeschlossen werden, sondern es geht darum, mit den anderen Nutzerinnen und Nutzern Kompromisse auszuhandeln. Der noch verfügbare Platz ist knapp und viele möchten ihn beanspruchen.
Mehr zu Fuss unterwegs sein: Wie ist das möglich?
Die Idee ist, dass alle von zuhause aus direkt und ohne Auto in angenehme Umgebung gelangen. Schon eine halbe Stunde Zufussgehen am Tag wirkt sich bekanntlich äusserst positiv auf die Gesundheit aus. Vor der eigenen Haustür gibt es zwar immer eine Strasse oder ein Trottoir, aber diese sind nicht zwangsläufig attraktiv oder sicher. Vor allem die Kinder sollen sich frei bewegen können. Wenn sie im öffentlichen Raum fehlen, ist das kein gutes Zeichen.
Ernen (VS): Ein gutes Beispiel für mehr Landschaftsqualität
Was bedeutet das im Einzelnen?
Verkehr beruhigen: Geschwindigkeit für Autos senken, dabei aber auch an Velos und Busse denken, die trotz ihres Nutzens erhebliche Einschränkungen mit sich bringen. Busse brauchen viel Platz und müssen den Fahrplan einhalten können. Beides geht oft zulasten der Fussgängerinnen und Fussgänger.
Das Nebeneinander von Fussgängerinnen und -gängern und E-Bikes kann auf manchen Wegen zu Konflikten führen.
Die E-Bikes sind erst kürzlich aufgetaucht und das Problem ist, dass die Planung wegen der langen Verfahrensdauer stets rund fünf Jahre hinterherhinkt. Daraus ergeben sich Verzögerungen, aber es gibt Lösungen.

«Flächen begrünen – überall, wo es geht: Das ist wichtig bei der Anpassung an den Klimawandel und für die Biodiversität», sagt Elise Riedo. Die Landschaftsarchitektin und Raumplanerin gehört seit 2022 dem Pool von Fachleuten an, die im Auftrag des BAFU Gemeinden zum Thema Landschaft beraten. ©Saskja Rosset/Lunax
Ein sicherer Strassenraum ist also die Voraussetzung für mehr Fussverkehr?
Ja, aber auch die Qualität muss stimmen. Es braucht zum Beispiel Gehwege, die genügend breit sind, um nebeneinander zu gehen. Ich setze mich für gut zugängliche Rundwege ab einem Kilometer Länge ein, die im Quartier starten und sich sowohl für Spaziergänge mit dem Kinderwagen als auch fürs Gassigehen oder eine kurze Joggingrunde eignen. Werden solche Wege wie Maschen oder Blütenblätter miteinander verbunden, kann man die Strecke beliebig verlängern. Zudem sollte entlang der Wege alle 300 Meter eine Bank stehen: Das ist die Distanz, die ein Kleinkind oder eine ältere Person in der Regel ohne Pause bewältigen kann. Es sollten auch genügend Schatten und Ruhe geboten werden.
Viele manchmal widersprüchliche Aspekte müssen miteinander in Einklang gebracht werden. Das tönt herausfordernd.
In der Tat – allerdings funktioniert in der Schweiz vieles bereits sehr gut: Dabei denke ich an die Qualität des Fusswegnetzes oder des öffentlichen Verkehrs. Oft genügt es, das defekte Glied in einer Kette ausfindig zu machen, um sie zu reparieren und zu verbessern. Ich glaube fest an die Wirkung der kleinen Schritte, um schnell Erfolge zu erzielen. Angesichts der Klimawandels ist es wichtig, rasch vorwärts zu gehen und vor allem etwas «zu machen».