«Meine starke Verbindung zu den Bergen geht auf mein 10. Lebensjahr zurück. In diesem Alter gingen alle Kinder auf eine Bergtour, das war wie ein Familienritual. Mein Grossvater bestieg mit mir den Néouvielle, einen über 3000 Meter hohen Gipfel in den Pyrenäen. An jenem Tag setzte ich meinen Fuss auf einen Gletscher – der heute verschwunden ist. Das erinnert mich stets daran, wie sehr sich Landschaften, die wir als ewig betrachten, in nur wenigen Jahren verändern können.

Jener Moment hat auch eine tiefe Verbundenheit mit den Bergen in mir geweckt, die ich über all die Jahre gepflegt habe, bis sie schliesslich zum Mittelpunkt meines Berufslebens wurde. Die Berge haben meinen Werdegang entscheidend geprägt: So habe ich mich vom «Baccalauréat Montagne» (Matura im Bereich Alpinismus und Wintersport) bis hin zum Diplom als Wander- und Tourenleiterin von ihnen leiten lassen. Es war kein Kindheitstraum, sondern eine logische Konsequenz.

Die Arbeit in der Monte-Rosa-Hütte ermöglicht mir ein Leben im Hochgebirge, und zwar in einem Rahmen, der für mich Sinn ergibt. Hier finde ich, was mir gefällt: Höhenlage, Teamarbeit und den täglichen Kontakt mit der Natur.

Oft stellt man sich vor, dass das Leben in einer Hütte eine einsame Tätigkeit ist. Aber am Monte Rosa ist das eigentlich nicht der Fall. Wir sind ein kleines sechsköpfiges Team, und die Hütte beherbergt fast jeden Tag Gäste. Sie geben einen Rhythmus vor und es kommt zum Austausch. Mit den Hüttenbesucherinnen und -besuchern spreche ich Französisch, Deutsch oder Englisch – die Hütte ist ein richtiger alpiner Treffpunkt.

Wobei sie bei schlechtem Wetter auch mal über mehrere Tage leer bleiben kann. Dann ändert sich die Stimmung. Diese Momente schätze ich: Es kehrt Ruhe ein, wir atmen ein wenig durch. Aber selbst auf 2800 Metern bleibt man mit der Welt verbunden. WLAN, Telefon – der Kontakt zum Tal reisst nie ab. Es hat etwas Seltsames, von Berggipfeln umgeben zu sein, ohne sich jemals richtig ausklinken zu können.

Ganz besonders mag ich es, bei Tagesanbruch das Frühstück zuzubereiten. Ich liebe es, in der Stille zu arbeiten, den ersten Lichtstrahl zu sehen, die Bergsteigenden, die mit ihren Stirnlampen aufbrechen. Es ist, wie wenn die Zeit angehalten wäre, bevor der Tumult losgeht.

Die Monte-Rosa-Hütte (2883 m ü. M.) erinnert an einen Bergkristall und ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit zwischen dem Schweizer Alpen-Club, seiner Sektion Monte Rosa und der ETH Zürich. Sie ist mit einer Aluminiumhülle verkleidet und die Südfassade mit einer Photovoltaikanlage versehen. Damit werden 90 Prozent des Energiebedarfs gedeckt werden. ©Switzerland Tourism

Die Monte-Rosa-Hütte (2883 m ü. M.) erinnert an einen Bergkristall und ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit zwischen dem Schweizer Alpen-Club, seiner Sektion Monte Rosa und der ETH Zürich. Sie ist mit einer Aluminiumhülle verkleidet und die Südfassade mit einer Photovoltaikanlage versehen. Damit werden 90 Prozent des Energiebedarfs gedeckt werden. ©Switzerland Tourism

Die Monte-Rosa-Hütte gehört zu den modernsten Berghütten der Schweiz. Dank ihren Solarkollektoren und dem System zur Schmelzwasser-Nutzung ist sie energieautonom. Heisse Duschen oder die Möglichkeit, Wäsche zu waschen, sind in dieser Höhe ein wahrer Luxus. Es gibt einen einzigen Wermutstropfen: die Versorgung mit Helikoptern. So wie es in den meisten anderen Hütten auch der Fall ist. Dies ist unsere Achillesferse punkto Umweltbelastung.

Das Leben hier oben verändert die Perspektive. Man fühlt sich winzig angesichts der Elemente. Und man sieht, wie stark wir die Umwelt schädigen. Der Rückzug der Gletscher, die sich verändernden Berge – alles ist von hier aus sichtbar. Das Leben hier hat mich auch die Einfachheit gelehrt. Wenn ich für mehrere Wochen in die Hütte gehe, nehme ich nur wenig mit. Das stimmt so für mich. Wenn ich dann wieder hinabsteige, wirkt alles lauter, geschäftiger. Unten im Tal fällt es mir manchmal schwer, meinen Rhythmus wiederzufinden, also laufe ich. Im Moment bereite ich mich auf das Wildstrubel-Rennen zwischen Kandersteg und Crans-Montana vor.

Wer uns in der Monte Rosa besucht, dem oder der möchte ich eines mit auf den Weg geben: Geniess es. Was ihr hier oben seht, wird in 30 Jahren vielleicht nicht mehr da sein. Und wenn ihr hungrig seid, probiert den Aprikosenstreuselkuchen – unser Klassiker!»

Noémi Krummel

Noémi wurde 1994 in Düsseldorf/D geboren und hat bereits seit dem Gymnasium auf eine Tätigkeit in den Bergen hingearbeitet. Nach einem «Bac Montagne», einem höheren technischen Abschluss in Umweltwissenschaften und einem Bachelor in Ökotourismus wurde sie Skilehrerin und Wanderleiterin. Heute verbringt sie ihre Saisons abwechselnd in Berghütten, mit Führungen von Gruppen und Auslandsreisen.