«Angefangen hat alles, als ich im Alter von 47 Jahren auf dem Illimani stand, einem knapp 6500 Meter hohen Gipfel in Bolivien. Eigentlich wäre die Besteigung des Mount Everest die logische Fortsetzung gewesen. Aber ich hatte Lust auf eine persönlichere, weniger übliche Herausforderung. Da kam ich auf die Idee, das gesamte Schweizer Wanderwegnetz abzugehen. Beim Überschlagsrechnen wurde mir rasch klar, dass ich für die insgesamt 66'000 Kilometer rund 28 Jahre benötigen würde.
Bisher habe ich 24'070 Kilometer zurückgelegt und dafür 4536 Stunden gebraucht, also umgerechnet 27 Wochen. Meinem Zeitplan bin ich etwa 2000 Kilometer voraus, was jedoch hauptsächlich damit zusammenhängt, dass ich zuerst die Routen in meiner Umgebung abgewandert bin. Im Durchschnitt absolviere ich etwa zwei Touren pro Woche. Zu Beginn spürte ich vor allem die körperliche Anstrengung. Heute betrachte ich es eher als interdisziplinäres Projekt, denn ich dokumentiere jede Wanderung, vor allem mit Fotos. Meine Bilder veröffentliche ich anschliessend in den sozialen Netzwerken. Am vergangenen Sonntag war ich im Emmental unterwegs – im Regen. Doch auch bei schlechtem Wetter finde ich immer etwas Spannendes, das ich mit meiner Community teilen kann. Hierzulande nutzen 90 Prozent der Menschen nur gerade mal 10 Prozent der Wege, nämlich die spektakulärsten Strecken. Dabei gibt sehr viele weniger begangene Routen, die einen Ausflug wert sind!
Durch diese Nähe zur Natur kann ich ausserdem die Auswirkungen des Klimawandels hautnah miterleben. Zum Beispiel den Einfluss auf die Biodiversität. So begegne ich auf meinen Wanderungen immer weniger Tieren. Auch die Trockenheit macht sich bemerkbar: Nur noch selten komme ich mit matschigen Schuhen nach Hause, da die Natur weniger wasserdurchtränkt ist als früher. Und vor allem werden immer mehr Wege gesperrt, unter anderem wegen Bergstürzen.
Meine Statistiken, Fotos und Berichte gewinnen dadurch noch mehr an Bedeutung. Ein weiteres markantes Beispiel ist die Entwicklung des Allalingletschers im Wallis. Vergleicht man die Bilder des Gletschers zur Zeit meiner Geburt mit jenen, die ich bei meiner Überquerung im vergangenen Jahr gemacht habe, sieht man eindrücklich, wie stark er zurückgegangen ist. Es fällt schwer, sich vorzustellen, dass künftige Generationen den Anblick dieses Gletschers wohl nicht mehr geniessen können.»
Pascal Bourquin
Pascal Bourquin arbeitete 28 Jahre lang als Korrespondent und Reporter für das Westschweizer Fernsehen. Derzeit ist er als Journalist bei der Tageszeitung «Le Quotidien Jurassien» tätig. Nachdem der passionierte Berggänger das Matterhorn, den Mont Blanc, den Kilimandscharo sowie den Aconcagua in den argentinischen Anden bestiegen hatte, startete er sein Projekt zu den Wanderwegen in der Schweiz. Dieses taufte er, den gelben Wegweisern entsprechend, «La vie en jaune» («Das Leben in Gelb»). Auf der gleichnamigen Website finden sich eine Karte der Schweiz, auf der die bereits zurückgelegten Wege eingezeichnet sind, sowie verschiedene Fotos der absolvierten Wanderungen.