IN KÜRZE

Um Food Waste zu vermeiden, können Lebensmittel wie Fleisch vor Ablauf des Verbrauchsdatums eingefroren und bis zu 90 Tage über das Datum hinaus konsumiert werden. Das Mindesthaltbarkeitsdatum schützt vor allem die Herstellenden vor Qualitätsbeschwerden. Lebensmittel sind meist bedenkenlos mehrere Tage darüber hinaus geniessbar.

Zum Beispiel ein Ei. Ein tierisches Produkt, das krankmachende Salmonellen enthalten und ekelhaft faul riechen kann. Ist das rohe Ei länger haltbar, als darauf aufgedruckt ist? Ja, bei richtiger Lagerung im Kühlschrank bleibt es mindestens einige Tage darüber hinaus geniessbar, wenn es gekocht wird.

Sucht man auf foodwaste.ch unter Haltbarkeit nach dem Ei, steht da: Nutzen Sie Ihre Sinne. Ist die Schale ganz, ist das Ei in der Regel einwandfrei. Stinkt das Ei und ist sein Inneres rosa oder grünlich verfärbt, ist es verdorben.

Oder nehmen wir rohes Fleisch. Wird es vor dem aufgedruckten Verbrauchsdatum eingefroren, ist es mindestens 90 Tage länger haltbar. Oder Gewürze. Zwar verlieren sie allmählich an Geschmack, doch können sie meistens problemlos bis zu einem Jahr über das Mindesthaltbarkeitsdatum hinaus gegessen werden.

Auch viele weitere Lebensmittel sind länger haltbar, als wir meinen. Im Jahr 2021 hat das Beratungsunternehmen Deloitte nach den Hauptgründen für Food Waste in Schweizer Haushalten gefragt: knapp 20 Prozent haben angegeben, Essen nach Ablauf der Haltbarkeitsangabe zu entsorgen, obschon es oft noch geniessbar wäre. Die aufgedruckten Daten haben also erheblichen Einfluss auf die Lebensmittelverschwendung.

Ein «Motzdatum» und ein Verbrauchsdatum

Auf Lebensmitteln muss das Mindest­haltbarkeitsdatum (MHD) angegeben werden – so steht es in der Verordnung des Bundes betreffend die Information über Lebensmittel. Mit dem MHD geben die Herstellenden an, bis wann sie die Qualität der Produkte garantieren. Bis wann also der Geschmack, das Aussehen, die Konsistenz mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit so bleiben wie gewünscht. Karin Spori, Geschäftsführerin von foodwaste.ch, nennt das MHD darum auch «Motzdatum»: Danach kann nicht mehr reklamiert werden – konsumieren kann man das Lebensmittel aber weiterhin.

Die schärfere Variante des MHD ist das VD, das Verbrauchsdatum. Es muss anstelle des MHD angegeben werden, wenn das Lebensmittel sehr leicht verderblich ist und nach kurzer Zeit eine unmittelbare Gefahr für die menschliche Gesundheit bergen kann. Ist das VD überschritten, sollte das Lebensmittel nicht mehr gegessen werden.

Claudio Beretta, Gründer des Vereins foodwaste.ch, schält eine Mandarine

Kann man ein Lebensmittel noch essen? Ein guter Rat ist, sich auf seine Sinne zu verlassen, meint Claudio Beretta, Gründer des Vereins foodwaste.ch. © Raisa Durandi/Lunax/BAFU

«Für die Sicherheit bei der Haltbarkeit der Lebensmittel sind die Produzenten verantwortlich», sagt Manel Nobel, Biologin beim Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinär­wesen BLV. «Sie kennen ihre Produkte am besten.» Zwei Lebensmittel könnten von aussen gleich aussehen, doch im Herstellungsprozess des einen wurden die Keime abgetötet, beim anderen nicht, erklärt Nobel.

Während sich die Schweiz mit dem «Aktionsplan gegen die Lebens­mittelverschwendung» das Ziel gesetzt hat, den Food Waste bis 2030 zu halbieren, bleibt die Sicherheit oberste Priorität. Im Lebensmittel­gesetz ist Lebens­mittelverschwendung kein Thema. Um über die längere Haltbarkeit zu informieren, hat das BLV bei der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW Leitfäden in Auftrag gegeben, die 2021 ver­öffentlicht wurden. Sie enthalten Empfehlungen für Herstellende, wann ein strenges VD in ein weniger strenges MHD umgewandelt werden sollte, und Hinweise für den Detailhandel, Spendenorganisationen und uns Konsumierende, bis wann Lebensmittel noch abgegeben werden dürfen oder es ratsam ist, sie noch zu konsumieren. «Die rechtlichen Grundlagen, um Lebensmittel­verschwendung zu reduzieren, sind vorhanden», sagt Nobel. «Und die gute Nachricht ist: Es ist noch viel möglich.»

Auf die Sinne vertrauen

Ein Mitautor dieser Leitfäden ist Claudio Beretta. Der Umwelt­wissen­schaftler ist Forscher an der ZHAW und gleichzeitig Gründer und Vereinspräsident von foodwaste.ch. «Ein Lebens­mittel wird im Normalfall nicht von heute auf morgen schlecht», sagt er. Die Forschung der ZHAW zeigt, dass Schweizer Herstellende das MHD zum Teil früher setzen als ausländische – für die gleichen Produkte. «Da frage ich mich, wie sich die Chemie eines Lebensmittels über der Landesgrenze plötzlich verändern kann», sagt Beretta. Die ZHAW-Leitfäden zeigen auf, wie man Lebensmittel sicher konsumieren und Food Waste vermeiden kann. So lassen sich Geld und Ressourcen sparen.

Für uns Konsumierende ist es im Übrigen einfach, Lebensmittel über das MHD und durch Einfrieren auch über das VD hinaus zu retten: Wir können schauen, riechen und schmecken. Doch viele Leute würden sich nicht trauen, sich auf ihre Sinne zu verlassen, sagt Claudio Beretta und versichert: «Unsere Sinne sind dafür gemacht, das hat uns die Evolution mitgegeben, und das dürfen wir nutzen.»

Manel Nobel vom BLV empfiehlt, sich zu informieren, zum Beispiel auf der Website foodwaste.ch. Der Verein gegen Lebensmittelverschwendung zeigt auf, wie Konsumierende herausfinden, ob ein Lebensmittel mit MHD noch gut ist. Und welche Möglich­keiten der Detailhandel hat, Lebensmittel über die Abgabedaten hinaus zu verkaufen oder zu spenden.

«Schnell kühlen für längere Haltbarkeit»

Matthias Beckmann, Kantonschemiker Graubünden und Glarus, in seinem Labor.

Interview mit Matthias Beckmann, Kantonschemiker Graubünden und Glarus.

Matthias Beckmann, als Kantonschemiker kontrollieren Sie Gastronominnen und Lebensmittelproduzenten in Graubünden und Glarus. Inwiefern können Sie auf die Haltbarkeitsangaben Einfluss nehmen?

Wir beanstanden, wenn mikrobiologisch unproblematische Produkte wie Joghurt oder Schinken mit einem Verbrauchsdatum statt mit einem Mindesthaltbarkeits­datum versehen werden. In der Gastronomie empfehlen wir, den Gebrauch von Lebens­mitteln, deren Mindesthaltbarkeitsdatum zwar überschritten ist, die aber qualitativ noch einwandfrei und sicher sind, nach dem Leitfaden der ZHAW (siehe Haupttext) zu verlängern. Noch besser wäre es natürlich, Lebensmittel bedarfsgerecht einzukaufen und zu verwenden.

Was geschieht in den Lebensmitteln, wenn sie schlecht werden?

Lebensmittel sind nicht steril. Auch wenn die Grundregeln der Küchenhygiene eingehalten werden – Trennung von Rohem und Gekochtem, ausreichende Erhitzung oder Verwendung sauberer Rohstoffe – befinden sich natürlicherweise Mikroorganismen auf und in Lebensmitteln. Die meisten davon schaden uns nicht. Einige jedoch können infektiös sein oder Giftstoffe entwickeln. Bei leichtverderblichen Lebensmitteln geschieht das bereits nach kurzer Zeit. Auch vermehren sich Bakterien im Temperaturbereich zwischen 5 und 65 Grad sehr schnell. Darum gilt es, diesen Bereich so kurz wie möglich zu halten. Zum Beispiel sollte man gekochte Essensreste möglichst rasch auf unter fünf Grad kühlen.

Sie stellen noch warme Reste in den Kühlschrank? Widerspricht das nicht dem Energiesparen?

Das ist richtig, aber die Lebensmittel­sicherheit ist unser oberster Grundsatz. So wie tiefgefrorene Lebensmittel nicht bei Raumtemperatur aufgetaut werden sollen, sollten auch einmal erhitzte Speisen nicht bei Raumtemperatur abgekühlt oder aufbewahrt werden. Beides gehört in den Kühlschrank.

Bei welchen gekochten Lebensmitteln müssen wir besonders aufpassen?

Teigwaren wie Spaghetti sind das schönste Käferfest für Bakterien: Ein günstiger pH-Wert und ein reichhaltiges Angebot an Nährstoffen beschleunigen das Wachstum der Mikroorganismen. Stellen Sie Spaghettiresten also schnell in den Kühlschrank. Um auf Nummer sicher zu gehen, essen Sie sie spätestens am übernächsten Tag und erhitzen Sie sie dann nochmals gut. Dasselbe gilt für gekochten Reis, da sonst die Sporen des Bacillus cereus auskeimen und Durchfall- oder Erbrechenstoxine bilden können.

Wie erkennen, ob Essen noch geniessbar ist? Einige Tipps

Um Food Waste zu vermeiden, können Lebensmittel wie Fleisch vor Ablauf des Verbrauchsdatums eingefroren und bis zu 90 Tage über das Datum hinaus konsumiert werden. Das Mindesthaltbarkeitsdatum schützt vor allem die Herstellenden vor Qualitätsbeschwerden. Lebensmittel sind meist bedenkenlos mehrere Tage darüber hinaus geniessbar.

Nutzen Sie Ihre Sinne, um zu beurteilen, ob ein Lebensmittel noch gut ist.

Ekel ist hilfreich: Er schützt uns davor, verdorbene Lebensmittel zu essen. Doch … … unser Ekelempfinden ist erlernt und kulturell geprägt. Nicht alles, was uns ekelt, ist auch gefährlich für unsere Gesundheit

Lagern Sie nicht zu viele Lebensmittel und verwerten Sie Resten schnell. Kühlen Sie gekochte Resten schnell ab auf unter fünf Grad.

Verwerfen Sie Mythen: Ja, Pilze und Spinat dürfen Sie einmal aufwärmen. Der Mythos, das sei schädlich, stammt aus der Zeit ohne Kühlschränke, in der sich giftige Abbauprodukte bei Zimmertemperatur vermehren konnten. Und ja, auch der Broccolistrunk ist essbar, auch wenn in Rezepten meist nur die Röschen verwendet werden.

Weitere Tipps finden Sie unter foodwaste.ch.