Eigentlich verfügt unser Land schon lange über erprobte Lösungen für eine nachhaltige Mobilität. So hat etwa das kommerzielle Carsharing seine Wurzeln in der Schweiz. Im Jahr 1987 schlossen sich in Stans (NW) acht Personen zur ATG AutoTeilet Genossenschaft zusammen. Sie brauchten alle gelegentlich ein Auto, wollten sich aber keine Privatwagen kaufen. Nicht allein das Budget sprach dagegen – es war die Zeit der Diskussionen über den sauren Regen und das Waldsterben, die Zeit, als Umweltthemen zunehmend in der breiten Öffentlichkeit diskutiert wurden.

Die Gruppe entschied sich für den Kauf eines gemeinsamen Wagens: eines knallroten Opel Kadett. Nur wenige Wochen später wurde in Zürich-Seebach die Genossenschaft Sharecom gegründet.1997 fusionierte sie mit der ATG zur Mobility Carsharing Genossenschaft. «Unser Antrieb war es, das Verkehrsvolumen auf den Strassen zu senken und gleichzeitig eine bewusst gestaltete Mobilität zu ermöglichen», erinnert sich Conrad Wagner, Mitbegründer der ATG und Experte für neue Mobilitätskonzepte.

Die Strategie von Mobility war von Beginn an darauf ausgelegt, ein flächendeckendes Angebot für die Schweiz zu schaffen. Und das gelang erstaunlich rasch. Innerhalb weniger Jahre war Mobility in allen grösseren Städten präsent. Heute stehen den rund 250 000 Mitgliedern über 3000 Fahrzeuge an 1500 Standorten zur Verfügung, und es gibt keine Gemeinde mit 5000 und mehr Einwohnern, die nicht bedient wird. Nirgends auf der Welt hat sich eine stationsbasierte Carsharing-Organisation so flächendeckend etabliert wie in der Schweiz.

Mobility verfolgt ein grosses Ziel: bis spätestens 2030 sollten alle Fahrzeuge elektrisch sein. © Mobility Genossenschaft

Die Mobilität wird variabler

Ein Erfolgsfaktor ist zweifellos die enge Verzahnung mit dem öffentlichen Verkehr. Früh schon ging Mobility Kooperationen mit dem Zürcher Verkehrsverbund (ZVV) und der SBB ein, entwickelte attraktive Angebote für Nutzungskombinationen und bekam Parkplätze an besten Lagen. Denn Mobility und seine Partner waren überzeugt, dass die Mobilität der Zukunft multimodal ist, dass also der uralte Antagonismus ÖV versus Individualverkehr einer smarten Kombination der verschiedenen Angebote weichen wird.

Dazu zählen auch Veloverleihe wie Rent a Bike. Vor 35 Jahren gegründet, ist Rent a Bike heute dank Kooperationen mit der SBB und verschiedenen Privatbahnen an allen grösseren Schweizer Bahnhöfen und in allen Tourismusregionen präsent. Zudem sind an vielen Bahnhöfen, Bus- und Tramhaltestellen Stationen für Selbstverleihvelos – etwa von PubliBike, Pick-E-Bike oder Nextbike – sowie Leih-Scooter zu finden.

Ungenutztes Potenzial bei E-Scootern

Die Hoffnung, dass diese Selbstverleihdienste dazu beitragen, das Auto aus der Stadt zu verdrängen, hat sich indessen bisher nicht erfüllt. Eine Studie der ETH Zürich zeigt, dass Fahrten mit E-Scootern und E-Velos vor allem Wege zu Fuss sowie Fahrten mit Tram und Bus ersetzen, aber kaum Autofahrten. Zudem fällt die Ökobilanz der E-Scooter ziemlich schlecht aus, weil viele Modelle nach nur zwei Betriebsjahren ersetzt werden müssen. Dies unter anderem, weil viele Mietende zu wenig Sorge zu den Scootern tragen. Entscheidend ist aber auch eine gute Qualität, Reparaturfähigkeit und ein austauschbarer Akku. Die ETH-Forschenden verstehen ihre Studie denn auch als «Aufruf an die Betreiber, ihre Systeme zu verbessern».

Das stationsbasierte Carsharing hingegen trägt nachweislich zu einer nachhaltigeren Mobilität bei. Denn viele Nutzerinnen und Nutzer verzichten auf ein eigenes Auto und verteilen ihre Wege fortan auf verschiedene Verkehrsmittel. Eine Befragung des Forschungsinstituts Interface von 2019 kommt zum Schluss, dass sich jeder fünfte Mobility-Privatkunde sowie jeder zweite Mobility-Firmenkunde mindestens ein zusätzliches Auto anschaffen würde, wenn es diesen Dienst nicht gäbe. Rund 35 500 Autos werden eingespart. Zudem legen die Mobility-Mitglieder ein Drittel weniger Kilometer mit dem Auto zurück als der Rest der Bevölkerung, weil sie das ÖV-Angebot stärker nutzen. Pro Jahr werden damit rund 31 000 Tonnen CO2–Emissionen vermieden.

Das Handy ortet den Leihwagen

Weniger gut fällt die Umweltbilanz des Freefloating Carsharings aus. Bei Freefloating-Diensten stehen die Autos irgendwo in der Stadt auf beliebigen Parkplätzen. Nutzerinnen und Nutzer orten und buchen sie über eine Handy-App. Eine Untersuchung in Deutschland kommt zum Schluss, dass diese Angebote hauptsächlich als Taxi-Ersatz genutzt werden. Ihr Auto und ihre Mobilitätsgewohnheiten geben die meisten Nutzerinnen und Nutzer solcher Angebote nicht auf.

Das aber könnte sich ändern, glauben die Studienautoren, wenn das Angebot weiterwächst. In Deutschland, wo grosse Autoverleiher und -hersteller ins Sharing eingestiegen sind, zeichnet sich ein solcher Trend ab: In den letzten zehn Jahren stiegen dort die Nutzerzahlen und die Freefloating-Flotten exponentiell an. Inzwischen nutzen in deutschen Städten über 2,6 Millionen Private und Firmen Freefloating-Dienste.

Schon bald dürften gar selbstfahrende Autos das Sharing-Angebot erweitern. In den letzten Jahren haben die SBB, die PostAuto AG und verschiedene Städte etwa ein Dutzend Pilotprojekte mit fahrerlosen Shuttle-Bussen durchgeführt. In einem Quartier in Sion etwa setzte PostAuto zwei vollautomatisierte Shuttle-Busse ein, die im «On-demand»-Betrieb auf öffentlichen Strassen verkehrten.

Mobilität auf Knopfdruck

«Mobilität für alle…auf Knopfdruck»: In seinem Buch vom März 2022 skizziert Andreas Herrmann, Professor an der Universität St. Gallen, eine Zukunft, in der das Privatauto zum Auslaufmodell wird und dafür der ÖV viel flexibler als heute ausgestaltet ist – ohne fixe Fahrpläne und vordefinierte Liniennetze. Stattdessen werden Bahnen, Busse, Shuttles, Autos, Scooter und Velos über eine Mobilitätsplattform zu einer komfortablen Reisekette verbunden. Laut Andreas Herrmann haben diese neuen Ansätze das grösste Potenzial, die Mobilität nachhaltig zu verbessern. Die ungenutzten Kapazitäten würden minimiert und die Umweltbelastungen stark verringert.

In den letzten Jahren wurde diese Entwicklung vorangetrieben: Etwa mit den Apps Sojo oder ZüriMobil für die Urbanregion Zürich lassen sich die verfügbaren Mobilitätsangebote – ob Tram, Bus, Zug, Velo, E-Bike oder Carsharing – ausfindig machen und zu einer Route bündeln. Pilotprojekte der SBB in den Städten Bern, Basel und Zürich mit einer ähnlich konzipierten App namens youmuv und einem Abo, das die verschiedenen Mobilitätsangebote umfasst, zeigten, dass die App zu einer stärkeren Nutzung des ÖV beitrug. Nun prüfen die SBB, wie sich das Modell auf die ganze Schweiz übertragen lässt. Ziel ist es, Reisenden den Umstieg vom Privatauto auf Bahnen, Busse und Velos zu erleichtern.