Die Stadt Uster überlegt sich heute noch sorgfältiger, was sie neu kauft. Denn für die Herstellung jedes neuen Geräts braucht es Material und Energie. Das Schweizer Beschaffungsrecht macht es heute möglich, nachhaltiger Leistungen und Produkte einzukaufen. «Das Gesetz zielt auf Nachhaltigkeit» und «Geiz ist nicht mehr geil»: So fasst der Jurist Marc Steiner das neue Schweizer Beschaffungsrecht von 2021 zusammen. Steiner arbeitet als Richter am Bundesverwaltungsgericht und lehrt am Institut Public Sector Transformation der Berner Fachhochschule. Anstelle des Preiswettbewerbs gelte nun die Maxime «Qualität, Innovation und Nachhaltigkeit», erklärt er. Die Schweiz folge damit dem europäischen Mainstream und habe – wie zuvor die EU – erkannt, dass das öffentliche Beschaffungswesen ein potentes Mittel ist, um die Nachhaltigkeitsziele zu erreichen.
Potenzial noch nicht ausgeschöpft
Tatsächlich sind die Hebel gross: Konservative Schätzungen gehen davon aus, dass sich das jährliche Volumen der öffentlichen Aufträge in der Schweiz auf über 40 Milliarden Franken beläuft. Der Hauptteil dieser Summe wird von Seiten der Kantone und Gemeinden ausgegeben. Der Bund kommt für etwa einen Fünftel der Beiträge auf. Es sei aber nicht so, dass das Gesetz jetzt die Auftraggeberseite zu Nachhaltigkeit zwinge, fügt Steiner an. «Bund, Kantone und Gemeinden haben weiterhin Ermessensspielräume.» Es erstaunt deshalb nicht, dass die Vergabepraxis grosse Unterschiede aufweist: Während Städte wie Bern, Zürich oder Luzern den neuen Spielraum ausnutzen, hat der erhoffte Vergabe-Kulturwandel im ländlichen Raum, insbesondere bei kleineren Gemeinden teilweise noch nicht stattgefunden.
«Geiz ist nicht mehr geil.»

Marc Steiner zur heutigen Beschaffungspraxis. Der Richter am Bundesverwaltungsgericht ist auch Dozent an der Berner Fachhochschule.
©Anna Katharina Scheidegger
Partizipation
Vorbild könnte die Zürcher Gemeinde Uster (37'000 Einwohnerinnen und Einwohnern) sein. Als eine der ersten Kommunen der Schweiz erarbeitete sie einen Leitfaden für die Nachhaltige Beschaffung. «Als Inspiration dienten uns die Merkblätter der Toolbox Nachhaltige Beschaffung Schweiz», erklärt Projektleiterin Sarina Laustela. «Wir wollten der Verwaltung aber nicht einfach einen fertigen Katalog vorlegen, sondern die Mitarbeitenden in den Prozess einbeziehen», ergänzt sie. «Die Einkaufsempfehlungen müssen praktikabel sein. Wenn man sie einfach vorgibt, funktioniert das nicht.» Also klärten die Projektleitenden im Austausch mit den rund 30 verantwortlichen Einkäuferinnen und Einkäufern der Stadt, wie die Ausschreibungen bisher formuliert wurden, wo Optimierungspotenzial besteht und welche Punkte in den Empfehlungen aufgenommen werden sollen. Die Verwaltungsleitung und der Stadtrat genehmigten 2019 die definitive Version.
Grundsätze und Labels
Der Leitfaden enthält Einkaufsempfehlungen für Bereiche wie Büro, Textilien, Fahrzeuge und Baustoffe sowie Grundsätze, die zu berücksichtigen sind. Im Bereich Textilien sollen bei der freihändigen Vergabe ökologische und soziale Kriterien in die Verhandlungen einbezogen werden. Bei Einladungsverfahren und höherstufigen Submissionen wird zudem die Offenlegung der Produktionskette gefordert. In den Grundsätzen ist auch festgehalten, welche Standards und Labels die Textilien aufweisen sollen.
Den Leitfaden hat die Stadt in den Medien bekannt gemacht und auf ihrer Webseite publiziert. «Das lokale Gewerbe weiss also, was erwartet wird», sagt Projektleiterin Sarina Laustela. «Es kann sich bei Offerten auf die Leitlinien stützen und sich mit nachhaltigen Produkten oder Dienstleistungen einen Wettbewerbsvorteil verschaffen.»
Auf dem Weg zur Kreislaufwirtschaft
In den letzten Jahren wurden einige Anforderungen in den Einkaufsempfehlungen verschärft, insbesondere bei den Fahrzeugen und den Gebäuden. Mit ihrem 2021 verabschiedeten Massnahmenplan zur Klimapolitik hat sich die Stadt Uster klare Ziele gesetzt. Die kommunalen Fahrzeuge sollen bis 2030 Netto-Null sein, und für die kommunalen Gebäude wird Netto-Null bis 2040 angestrebt. Die Gemeinde will das Thema Kreislauffähigkeit konsequenter in die Empfehlungen integrieren. Insbesondere beim Hochbau sieht sie noch grosses Potenzial bezüglich der Grauen Energie, der Rückbaubarkeit und Wiederverwendung von Baumaterialien.
Das interne Controlling zeigt, dass die Beschaffenden die Einkaufsempfehlungen konsequent anwenden. So wird beispielsweise seit 2019 ausschliesslich 100%-Recyclingpapier eingekauft, und 2023 wurde eine grosse Umrüstung auf LED-Technologie in den städtischen Liegenschaften durchgeführt. Die Neugestaltung der Strassen erfolgt nach strengen Nachhaltigkeitskriterien, und seit 2024 werden Kommunalfahrzeuge mit elektrischem Antrieb beschafft.
«Die Einkaufs-empfehlungen müssen praktikabel sein.»

Sarina Laustela, Leiterin des Projektes zur nachhaltigen Beschaffung der Stadt Uster (ZH).
©Stadt Uster
Aus dem Gärtchendenken ausbrechen
«Im Prinzip kann mit dem neuen, harmonisierten Recht jede Bundesstelle, jeder Kanton und jede Gemeinde eine Beschaffungsstrategie mit scharfen Nachhaltigkeitskriterien etablieren», sagt Rechtsexperte Marc Steiner. Er erkennt darin eine «grossartige Chance». In der Realität sei es aber gerade für die kleinen Gemeinden schwierig, den Markt zu überblicken, für jede Sparte spezifische Nachhaltigkeitskriterien zu erarbeiten und die Offerten auf solche Kriterien hin zu überprüfen. Dazu fehlten die Ressourcen und das Knowhow. Auf der Wissensplattform nachhaltige öffentliche Beschaffung (WöB) finden Gemeinden Instrumente wie die «Toolbox nachhaltige Beschaffung Schweiz». Diese enthält u.a. für 19 Produktgruppen- Merkblätter mit konkreten Empfehlungen für den nachhaltigen Einkauf inkl. juristisch geprüften Ausschreibungskriterien.
Wichtig sei zudem, dass die Kommunen «aus ihrem Gärtchendenken ausbrechen» und beim Einkauf zusammenarbeiten, etwa in Form von Einkaufsgemeinschaften. In der Romandie geschieht dies bereits im Bereich der IT über die Einkaufsgemeinschaft PAIR. Steiner sieht zudem eine Möglichkeit, wie Kantone ihre Gemeinden unterstützen können: indem sie Rahmenverträge anbieten, die die Gemeinden abrufen können.
Hilfsmittel für die Gemeinde
Auf der Wissensplattform nachhaltige öffentliche Beschaffung (WÖB) steht ein neuer Leitfaden zur kreislauffähigen Beschaffung zur Verfügung. Er zeigt auf, an welchen Stellschrauben man drehen sollte und wie man Kreislaufwirtschaftskriterien optimal in eine Ausschreibung integriert. Die Wissensplattform hält Empfehlungen und Ausschreibungskriterien für spezifische Bereiche bereit, wie Waren und Dienstleistungen sowie Bau und Immobilien.