Wir sind in einer Ausstellung im Forum Schweizer Geschichte in Schwyz. Als erstes fällt uns ein Bild ins Auge. Es zeigt einen Abfallberg. Es ist zwar nur ein Bild, und doch kann man die Fliegen fast surren hören, den Gestank riechen. Es ist eine Fotografie der Kehrichtdeponie Cholwald in Ennetmoos (NW) aus dem Jahr 1996.

Solche Bilder sieht man heute nicht mehr. Das liegt daran, dass unser Abfall nicht mehr deponiert, sondern verbrannt wird. Mit rund 670 Kilogramm Siedlungsabfall pro Person gehört die Schweiz sogar zu den Spitzenreiterinnen Europas.

Doch kaufen, brauchen, entsorgen – diese lineare Nutzung von Dingen ist nicht ewig möglich, da Rohstoffe endlich sind. Ein Lösungsansatz ist die Kreislaufwirtschaft: Materialien und Produkte so herzustellen, dass sie ein möglichst langes Leben haben.

Altes Konzept, neuer Begriff

Die Kreislaufwirtschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einem zentralen Konzept für eine nachhaltige Wirtschaft entwickelt. Dabei ist sie keine moderne Erfindung. Menschen haben schon immer Dinge wiederverwendet, repariert und umgenutzt; historisch gesehen ist das der Normalfall. Abfallberge – wie früher in der Deponie Cholwald – sind ein junges Phänomen in der Geschichte der Menschheit.

Das Foto dieser Deponie führt mitten in die Thematik der Ausstellung «Das zweite Leben der Dinge - Stein, Metall, Plastik». Die Exposition bringt uns zurück in eine Zeit, als Reparieren und Wiederverwerten zum Alltag gehörten. Dafür hat Daniela Schwab, Kuratorin am Schweizerischen Nationalmuseum, die Geschichte der Kreislaufwirtschaft aufgearbeitet: «Schon vor 30 000 Jahren wurden Mammutknochen nach dem Essen des Fleisches zu Flöten geschnitzt – ein frühes Beispiel für Produktionsabfallrecycling», erklärt die Historikerin. Eine fast 3000 Jahre alte Gewandnadel, die später zum Angelhaken gebogen wurde, zeige, wie unsere Vorfahren Vorhandenes kreativ zu Neuem umfunktioniert haben.

«Schon vor 30 000 Jahren wurden Mammutknochen nach dem Essen des Fleisches zu Flöten geschnitzt – ein frühes Beispiel fürs Recycling», erklärt die Historikerin. «Eine fast 3000 Jahre alte Gewandnadel, die später zum Angelhaken gebogen wurde, zeigt wie unsere Vorfahren Vorhandenes kreativ zu Neuem umfunktioniert haben.»

Aus Stoff wurde Papier

Wenn Kleider nicht mehr geflickt oder als Stofffetzen zum Putzen gebraucht werden konnten, wurden sie bis ins späte 19. Jahrhundert für die Produktion von Papier verwendet. Zuerst wurden die Lumpen zerkleinert und angefault, dann gewaschen und zu einem Faserbrei verarbeitet. Aus diesem Brei wurde mit einem Drahtsieb das Papier geschöpft. Lumpen waren begehrte Mangelware, kein Wunder verboten Obrigkeiten die Ausfuhr von Stoff zugunsten der heimischen Papiermühlen.

Bevor Materialien wiederverwertet wurden, hat man sie jedoch weiterverkauft: «Um sich stets die neusten Accessoires leisten zu können, mussten schon vor 300 Jahren die Adeligen für die älteren Accessoires zahlungskräftige Abnehmer finden», sagt die Historikerin Daniela Schwab. So fand sich der adelige Überkonsum auf den Gebrauchtwarenmärkten der Bürgerinnen und Bürgern wieder. Die Zirkulation von Gegenständen stellte einen zentralen Bestandteil der Märkte dar.

Erst der Anfang der Kreislaufwirtschaft

Wiederverwenden, reparieren, recyceln - auf diese Konzepte kommt man heute wieder zurück, ein Beispiel sind Second-Hand-Läden. Laut dem Bundesamt für Statistik werden in der Schweiz bislang nur rund 14 Prozent der verwendeten Materialien wieder in den Wirtschaftskreislauf zurückgeführt. Berücksichtigt man jedoch die gesamte Lieferkette, einschliesslich der Materialien, die im Ausland verarbeitet werden, sinkt dieser Anteil auf lediglich 6,9 Prozent. Dies zeigt der Circularity Gap Report 2023, der damit einen Wert knapp unter dem weltweiten Durchschnitt von 7,2 Prozent berechnet hat. Das heisst: Die Schweiz hat noch Potenzial.

Weil es angesichts der knappen Ressourcen und der Umweltbelastung Sinn macht, hat sich auch die Politik der Kreislaufwirtschaft angenommen. Zum Beispiel auf nationaler Ebene, wo Anfang 2025 eine Gesetzesänderung durch die parlamentarische Initiative «Schweizer Kreislaufwirtschaft Stärken in Kraft getreten ist. Oder etwa im Kanton Zürich, wo die Bevölkerung im September 2022 den neuen Verfassungsartikel 106a «Stoffkreisläufe» angenommen hat, und im Sommer 2024 die Fach- und Koordinationsstelle Kreislaufwirtschaft gegründet wurde. Sie wird von Jasmin Mertens geleitet.

Wiederverwenden – auch in der Baubranche

In der Ausstellung in Schwyz zeigt sie auf einen grossen Stein: Ursprünglich vermutlich aus einem Monumentalbau in Oberwinterthur, wurde diese um 1000 n. Chr. in die Mauer eines Wohnturms in der Nachbarsgemeinde verbaut. «Während wir heute das meiste neu produzieren, hat man früher so gut wie möglich genutzt, was bereits vorhanden war», sagt Jasmin Mertens. Sie erkennt, wie dieses Umdenken in einzelnen Projekten, auch in der materialintensiven Baubranche, wieder aufgenommen wird. «Hier ist es unsere Aufgabe als Kanton, zu informieren, verschiedene Akteure zu vernetzen und bei eigenen Projekten mit gutem Beispiel voranzugehen.» Ausserdem führt ihre Fachstelle ein Projekt zur Untersuchung von regulatorischen Hemmnissen der Kreislaufwirtschaft durch, also Normen oder kantonalen Gesetzen, die ein zirkuläres Wirtschaften behindern.

Das 10-R Modell

Das ursprüngliche 3R-Modell von Reduce, Reuse, Recycle (Reduzieren, Wiederverwenden, Wiederverwerten) hat sich weiterentwickelt. Heute wird im Zusammenhang mit der Kreislaufwirtschaft oft von 10R-Strategien gesprochen. Unterteilt in drei Gruppen bilden diese die Kernprinzipien zur Umsetzung der Kreislaufwirtschaft: Refuse, Rethink, Reduce für eine intelligentere Produktion, Reuse, Repair, Refurbish, Remanufacture für die Verlängerung der Lebensdauer und Repurpose, Recycle, Recover für eine sinnvollere Verwertung.

Produkte günstiger als die Arbeit

Die Historikerin Daniela Schwab hat die Geschichte der Kreislaufwirtschaft aufgearbeitet. Sie beschreibt, wie eine Wegwerfgesellschaft entstand: Zuerst erlaubte die industrielle Revolution, Gegenstände schneller und günstiger herzustellen, und später wurden die Kunststoffprodukte und der Warentransport billiger. So drehte das Preisverhältnis von Produkten und Arbeitskraft um; Produkte wurden günstiger, die Arbeit teurer. Es lohnte sich nicht mehr, Geld in einen alten Gegenstand zu stecken, wenn ein neuer günstiger war.

Die moderne Kreislaufwirtschaft hat andere Voraussetzungen als die Wiederverwendung aus Gründen der Knappheit früher. Güter sind heute komplex aufgebaut, Materialien ineinander verklebt. «Es reicht nicht mehr, am Ende des Lebenszyklus’ eines Produktes zu überlegen, was man damit noch machen kann», sagt Jasmin Mertens. «In der Kreislaufwirtschaft müssen wir schon bei der Herstellung eines Gegenstandes die zukünftigen Nutzungen mitdenken. Und wenn er am Lebensende angekommen ist, muss man ihn leicht auseinandernehmen und die einzelnen Teile umweltschonend entsorgen können.»

Recyceln, aber nicht nur

Die Schweiz gehört zwar beim Abfallproduzieren zu den Spitzenreiterinnen, aber sie ist dafür beim Recyceln von Glas, PET oder Papier für viele ein Vorbild. Und doch sagt sogar die Leiterin Kreislaufwirtschaft bei Swiss Recycle, Rahel Ostgen: «Recycling ist ein wichtiger, aber nur ein Teil der Lösung.»

Das Ziel der Kreislaufwirtschaft ist es, einen möglichst kleinen Umweltimpact zu haben. Recycling ist ein Mittel dazu. Doch: «Wir müssen jeweils eruieren, wann was wo Sinn macht», sagt Ostgen. Das Recycling macht mitunter keinen Sinn, wenn zum Beispiel die Transporte wenig ökologisch sind. Und manchmal hat sogar die energetische Verwertung, also die Verbrennung der Abfälle, weniger Umweltauswirkungen als das Recyceln: «Dank speziell beschichteten Folien aus Kunststoff bleiben Lebensmittel länger frisch, was zu weniger Food Waste führt. Recyceln lassen sich diese Folien meist nicht, sie werden verbrannt. Doch da die Herstellung zum Beispiel von Fleisch eine hohe Umweltbelastung hat, ist der Umweltschaden durch die Folie geringer als der Schaden durch verdorbenes Fleisch.»

In ihrer Arbeit über die Geschichte der Kreislaufwirtschaft macht Historikerin Daniela Schwab darauf aufmerksam, dass es neben dem Wiederverwenden und Recyceln, dem Umnutzen und dem Reparieren noch eine weitere Strategie gibt: Den saubersten Zyklus durchlebt das Produkt, das gar nicht erst in den Kreislauf gelangt, weil es gar nicht erst hergestellt wurde.

Ausstellung

Anders als heute bestimmten früher Knappheit und Mangel den Umgang mit Materialien und Gegenständen. Bis zur industriellen Revolution war es üblich, Kleidung weiterzugeben, Werkzeuge zu reparieren, Baumaterial weiterzuverwenden. Ob aus Stoff, Metall, Stein oder Glas – Dinge lebten so lange wie möglich. Die vom Schweizerischen Nationalmuseum konzipierte Ausstellung wirft einen Blick auf vergangene und heutige Methoden der Kreislaufwirtschaft. Objekte von der Steinzeit bis zur Gegenwart zeigen, wie ihre Geschichte das Bewusstsein für den Wert der Dinge schärfen kann.

«Das zweite Leben der Dinge – Stein, Metall, Plastik», bis am 27. April 2025 im Forum Schweizer Geschichte Schwyz