Was im letzten Jahrhundert in der Deponie in Illiswil bei Wohlen im Kanton Bern geschah, klingt heute haarsträubend. Ab 1960 verlegte die «Genossenschaft Arbeitsgemeinschaft für das Transportgewerbe» den Illiswilbach auf einer Länge von rund 700 Metern in ein Rohr. Das Tobel, durch das der Bach zuvor geflossen war, wurde von da an als Müllhalde genutzt. Für Aushubmaterial, Bauschutt, Hauskehricht, Schlacken aus der Kehrichtverbrennungsanlage, Klärschlamm und flüssige oder ölige Industrieabfälle. 13 Jahre lang. Am Ende türmten sich dort 1,5 Millionen Kubikmeter Material auf. Mit der Zeit sickerten aus diesem Abfallberg Ammonium- und Vinylchlorid in das darunterliegende Rohr und damit in den Illiswilbach. Vinylchlorid ist krebserregend und beide Substanzen sind toxisch für Fische und andere Organismen. In den 1990er-Jahren wurden bei Messungen unterhalb der Deponie zu hohe Konzentrationen dieser Chemikalien nachgewiesen. Die Deponie wurde deshalb ab 2001 untersucht und es wurde ein dringender Sanierungsbedarf festgestellt. Die Sanierung wird gesamthaft zehn bis zwölf Millionen Franken kosten.
Abfall gestern und heute
So wie im bernischen Wohlen gingen viele Gemeinden früher mit dem Abfall um, erklärt Reto Tietz, Sektionschef Altlasten des BAFU: «Es gibt rund 1200 solcher Deponien auf zugedeckten Bächen in der Schweiz.» Die Verantwortlichen von früher handelten zum Teil in Unkenntnis der Schäden, die sie anrichteten. Andere wiederum gingen sorglos vor und wollten den Müll so billig wie möglich loswerden. Zu Beginn war der Schaden begrenzt, denn bis Mitte des letzten Jahrhunderts bestand der Hauskehricht in der Schweiz zu mehr als der Hälfte aus Küchenabfällen, gefolgt von Papier und Karton – also aus mehrheitlich abbaubaren Stoffen. Doch dann kamen die Jahre des industriellen Aufschwungs, und nun landeten aus Gewerbe und Industrie deutlich mehr toxische Stoffe in den Deponien. So entstanden viele der heutigen Altlasten.
Insgesamt sind in den Katastern der belasteten Standorte schweizweit rund 38 000 Areale als belastet aufgeführt, weil sich im Untergrund Abfälle und Stoffe befinden, die dort nicht hingehören. Neben Mülldeponien handelt es sich vor allem um Gewerbe- und Industrieareale, um Zielbereiche von Schiessanlagen, die mit Blei belastet sind, sowie um Unfallstandorte. Rund 4000 dieser Standorte gelten als Altlasten und müssen saniert werden, damit sie die Umwelt und den Menschen nicht weiterhin belasten.
Wie mit den Abfallsünden umgehen
Ob ein belasteter Standort als Altlast eingestuft wird, klären Fachleute anhand verschiedener Kriterien. Gefährden die Schadstoffe sogenannte Schutzgüter, also das Grundwasser, Fliessgewässer oder Seen, den Boden oder die Luft? Um wie viel Abfall handelt es sich und welche Stoffe sind darin enthalten? Und wie hoch ist das Risiko, dass die Giftstoffe überhaupt entweichen? «Chlorierte Lösungsmittel beispielsweise, wie sie etwa in der Metallverarbeitung eingesetzt werden, gelangen sehr schnell ins Grundwasser, wenn sie mal im Untergrund sind», erklärt Reto Tietz.
Die aktuellen Herausforderungen
Die Gefahr, die von chemischen Schadstoffen ausgeht, wurde der breiten Bevölkerung laut Tietz erst 1976 nach dem Dioxinunfall in der norditalienischen Gemeinde Seveso so richtig bewusst. Die Medien berichteten über Vögel, die vom Himmel fielen, über tausende verendete Tiere und über Kinder mit Hautkrankheiten. Die mitgelieferten Bilder brannten sich ins kollektive Gedächtnis ein. 1991 kam ein weiterer tragischer Vorfall dazu, den Tietz als prägend für den heutigen Umgang mit Altlasten bezeichnet: In Sottens im Kanton Waadt starben zwei Personen an den Folgen einer Vergiftung, nachdem sie in einen Zugangsschacht zur örtlichen Deponie gestiegen waren. «Das führte allen vor Augen, dass man wissen muss, wo der Abfall liegt und was in den Deponien lagert. Denn was einen dort unten tötet, kann auch über der Erdoberfläche gefährlich sein.»
In der Folge entstand 1994 das Altlastenkonzept des Bundes und 1998 trat die Altlasten-Verordnung (AltlV) in Kraft. Sie entsprang dem gesetzlichen Auftrag, belastete Standorte zu sanieren, wenn diese eine Gefahr für die Umwelt oder den Menschen bergen. Um die Untersuchungen und Sanierungen zu fördern, richtete man den Altlasten-Fonds (VASA) ein, der aus Abgaben auf deponierten Abfällen gespeist wird. Seither trägt der Fonds Sanierungsprojekte mit jährlich bis zu 40 Millionen Franken mit. Er übernimmt bis zu 40 Prozent der Untersuchungs- und Sanierungskosten, um die Kantone und Gemeinden zu entlasten, wenn die Verursacher nicht mehr vorhanden sind.
Immense Aufgabe
Insgesamt schätzt der Bund die Kosten für die Untersuchung und Sanierung der rund 4000 Altlasten-Standorte in der Schweiz auf fünf Milliarden Franken. Ursprünglich sollten die Altlasten bis im Jahr 2040 saniert werden, bis heute steht man aber erst bei rund der Hälfte. Weil absehbar ist, dass die Ziele so nicht erreicht werden können, revidiert der Bund derzeit das Umweltschutzgesetz. Er setzt dabei auf finanzielle Anreize und rechtliche Vorgaben, wie Tietz sagt: «Die Kantone erhalten mehr Geld aus dem Fonds. Aber nur für Sanierungen, die bis 2045 abgeschlossen sind. Danach erhalten sie daraus keine Mittel mehr.»
Die Verantwortlichen auf allen Ebenen haben viel aus den Fehlern und Versäumnissen der Vergangenheit gelernt. Dennoch werden die Herausforderungen nicht kleiner. In der Umwelt tauchen laufend neue Stoffe auf, über deren Schädlichkeit man früher nichts wusste und auch zum Teil heute noch nicht genügend weiss. Dazu zählen insbesondere PFAS, fett-, schmutz- und wasserabweisende Kohlenstoff-Fluor-Verbindungen. Sie sind nützlich in vielen Produkten, etwa in Antihaftbeschichtungen für Pfannen, wasserfester Kleidung oder Feuerlöschschäumen. In der Umwelt sind sie aber sehr problematisch, denn sie sind gesundheitsgefährdend und sie bauen sich praktisch nicht ab. Messungen und Studien zeigen, dass PFAS in der Schweiz an vielen Standorten zu finden sind. Dazu Reto Tietz: «Die Verantwortlichen von heute müssen darauf bedacht sein, den kommenden Generationen nicht weitere teure Hypotheken zu hinterlassen.»