Spitelfeld, westlich von der Solothurner Altstadt: Langsam, aber beharrlich frisst sich ein Bagger durch die Wiese und bringt zum Vorschein, was jahrzehntelang unter der dünnen Grasdecke verborgen war: Nylonstrümpfe, Metallschilder, Keramikschüsseln, Aludosen, Pneus und Plastik. «Man hat hier weitgehend sorglos den ganzen Kehricht der Stadt abgeladen», sagt Roger Dürrenmatt. Er leitete für die Bauherrengemeinschaft von Kanton und Stadt Solothurn das Projekt Stadtmist, eine der aktuell grössten Altlastensanierungen der Schweiz.

Dürrenmatt weist mit dem Finger zum Horizont: «Seht ihr die Bäume da hinten? Sie markieren die Grenze der Deponie Spitelfeld.» Die kleine Baumgruppe, 500 Meter von uns entfernt, lässt uns das riesige Ausmass der Deponie erkennen: 95 000 Quadratmeter ist sie gross, das entspricht etwa vierzehn Fussballfeldern. Im Schnitt sei die Abfallschicht etwa 1,5 Meter dick, sagt Dürrenmatt. «Das ergibt eine gewaltige Masse an Aushub.»

Aus den Augen und dem Sinn

Und Spitelfeld ist nur eine von drei Stadtmist-Deponien. Westlich angrenzend erstreckt sich auf einer Fläche von 2,4 Hektaren die Deponie Oberer Einschlag, im Osten die Deponie Unterhof auf vier Hektaren. Die drei Deponien wurden während verschiedenen Epochen genutzt: Unterhof ist die älteste; sie diente von 1925 bis 1947 als städtische Abfallhalde. Dann wechselte man auf das Spitelfeld (1947–1970) und anschliessend auf den Oberen Einschlag. 1976 setzte die neu errichtete Kehrichtverbrennungsanlage Zuchwil den Ablagerungen ein Ende, und noch im selben Jahr verschwand die letzte der drei Stadtmist-Deponien unter einer 20 Zentimeter dünnen Humusschicht.

Damit geriet der ganze Stadtmist aus den Augen und dem Sinn. «Bis noch vor zehn Jahren sah man hier Kühe weiden», erinnert sich Dürrenmatt. Kaum jemand machte sich Sorgen. Warum auch? Im Unterschied etwa zur Sondermülldeponie in Kölliken (AG) begann es hier nicht bestialisch zu stinken, und in der nahen Aare kam es nie zu einem Fischsterben.

Eine Palette an Schadstoffen

«Wir haben hier in Solothurn keine hochtoxischen Spezialabfälle aus der chemischen Industrie», erklärt Martin Brehmer, der uns auf der Stadtmist-Tour begleitet und beim Kanton die Aufsicht über die Sanierung hat. Der überwiegende Anteil des eingelagerten Abfalls stammt aus privaten Haushalten und enthält viel organisches Material, Schlacke, Glas, Plastik, Batterien und Elektroschrott. Hinzu kommen Abfälle aus dem Gewerbe und der Uhrenindustrie, hauptsächlich Metalle. Problematisch am Stadtmist sei nicht ein einzelner Giftstoff, sondern die breite Palette an Schadstoffen, erklärt Brehmer und nennt als Beispiele Blei, poly­zyklische aromatische Kohlenwasser­stoffe, chlorierte Kohlenwasserstoffe, aber auch organische Abbauprodukte wie Ammonium und Nitrit, die bereits in tiefen Konzentrationen Fische und andere Wasserlebewesen schädigen. Man schätzt, dass auf den drei Deponien insgesamt 500 000 Tonnen Abfälle eingebaut wurden. Ein Teil des organischen Materials wurde seither von Mikroorganismen abgebaut, aber bei Weitem nicht alles.

Denn die Bakterien verbrauchen den Luftsauerstoff im Deponiekörper, und neuer gelangt kaum hinzu, womit sich der Abbauprozess verlangsamt. «Man findet hier noch fast unversehrte Zeitungen aus den 1960er-Jahren», sagt Martin Brehmer. Noch langsamer oder gar nicht zersetzen sich Kunststoffe, Schwermetalle, Lösungsmittel und andere Chemikalien. Die Deponie ist eine kaum je versiegende Emissionsquelle.

Die beiden Mitarbeiter des Umweltamts führen uns zu einem Entwässer­ungsgraben am Rand des Spitelfelds. Er ist etwa knietief gefüllt mit trübem Wasser. «Über das Sickerwasser gelangen die Schadstoffe aus der Deponie in diesen und noch einen weiteren Graben», erklärt Roger Dürrenmatt. «Beide Gräben münden rund 200 Meter südlich von hier in die Aare. Seit Jahrzehnten fliessen Gifte zwar in Kleinstmengen, aber beständig in die Aare.» Bei der Deponie Spitelfeld werde zudem das Grundwasser mit chlorierten Kohlenwasserstoffen belastet.

Investition in die Natur

Die Altlasten-Verordnung des Bundes fordert seit 1998, dass belastete Standorte saniert werden, wenn sie zu schädlichen Einwirkungen führen. Schweizweit gelten 4000 Standorte als sanierungsbedürftig und somit als Altlast, etwa 1800 davon wurden in den letzten Jahren saniert, darunter auch einige grosse Deponien (siehe Boxen). Die Sanierung einer Gross­deponie ist besonders herausfordernd, wie das Beispiel Stadtmist zeigt. 2016 entschieden der Kanton und die Stadt, die Deponien auszuheben. Doch das Vorhaben verzögerte sich. Grund dafür waren die hohen Kosten: Eine Studie bezifferte sie auf 290 Millionen Franken. Der Bund erachtete dies bemessen am Umweltrisiko als unverhältnismässig hoch und bevorzugte andere vom Kanton geprüfte Varianten, etwa die Abdichtung der Deponie Spitelfeld anstelle ihres Aushubs. Schliesslich ergab eine Ausschreibung für den Aushub aller drei Deponien und die fach­gerechte Entsorgung des Materials deutlich geringere Kosten von 120 Millionen Franken. Darauf konnten sich im Herbst 2020 alle Projektbeteiligten einigen. 40 Prozent der Kosten würde der Bund übernehmen, 38 Prozent der Kanton und 22 Prozent die Stadt Solothurn.

«120 Millionen Franken, das ist sehr viel Geld», sagt Martin Brehmer. «Doch diese Investition lohnt sich. Die Schadstoffquelle wird ein für allemal beseitigt und das Land aufgewertet.» Im Spitelfeld werden landwirtschaf­tliche Fruchtfolgeflächen geschaffen, im Oberen Einschlag, der zu einer Naturschutzzone gehört, sind ökologische Aufwertungen vorgesehen. Etwa eine Flutmulde: Eine solch künstlich erstellte Vertiefung wird jeweils im Frühjahr gewässert und dient Amphibien und Vögeln als Lebensraum. Der Unterhof soll nach der Sanierung überbaut werden. Bei dieser ältesten Deponie haben die Sanierungsarbeiten schon im Sommer 2022 begonnen. Mittlerweile ist rund die Hälfte der Deponie Unterhof ausgehoben, diese Abfälle sind behandelt und entsorgt.

Zerkleinern, sortieren, verwerten

Auf dieser bereits sanierten Fläche steht zurzeit eine riesige Halle, davor finden sich mehrere Lagerboxen und ein kleines Containerdorf mit Besucherzentrum, Büros und Aufenthaltsräumen. In der Halle sind die Abfallbehandlungsanlagen unter­gebracht. Roger Dürrenmatt erklärt den groben Ablauf: Das Aushubmaterial wird mit einem Lastwagen zur Halle gefahren und dort in einen Schredder befördert. Über ein Fliessband gelangt das zerkleinerte Material dann in verschiedene Sortier- und Aufbereit­ungs­anlagen. In der Trockenauf­bereitung werden zum Beispiel Metallstücke mit Magneten und leichte Stoffe wie Plastik oder Holz mittels Luftstrom abgesondert. Bei der Nassaufbereitung wird der Aushub nach Korngrössen wie Kies oder Sand sortiert und das brennbare Material wie Papier oder Plastik abgetrennt. Zudem wird besonders schadstoffbelasteter Abfall entfernt, etwa schwermetallbelastete Schlacke oder ehemalige Bauteile, die giftige polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe absondern.

Täglich 500 Tonnen Material

«Etwa 20 Prozent des Stadtmists lassen sich verwerten, also recyceln oder thermisch nutzen», sagt Dürrenmatt. Der Rest werde sicher deponiert. Die Anlage kann pro Tag etwa 500 Tonnen Material behandeln. Sie gibt den Takt der Arbeiten vor, nicht der Bagger im Feld. Gemäss den Berechnungen des beauftragten Unternehmens soll der ganze Stadtmist bis 2028 behandelt, sortiert und abtransportiert sein.

Wir blicken von der Terrasse eines Containerturms auf den Installations­platz: Zwei Männer helfen beim Beladen eines Lastwagens, beide stecken in Schutzanzügen und Gummistiefeln. «Je nach Arbeits­bereich und anfallendem Material gelten verschiedene Schutzan­forderungen», erklärt Dürrenmatt. Grundsätzlich nähmen die Anforderungen zu, je weiter man in die jüngeren Deponien vorrücke. Ab den 1960er-Jahren sind die Abfälle zunehmend mit Chemikalien durchsetzt: Imprägnierungen, Flammschutzmittel, Lösungsmittel. Eine akute Gefahr bestehe für die Arbeiter nicht. Wären sie aber über Tage oder Wochen ungeschützt dem kontaminierten Staub ausgesetzt, könnte das durchaus problematisch sein.

Neubewertung toxischer Stoffe

Hat man beim Aushub auch Abfall­stoffe entdeckt, mit denen man nicht gerechnet hat? Dürrenmatt verneint: «Wir kennen die Abfälle und Chemikalien, die in einer solchen Deponie vorkommen können.» Was sich aber jederzeit ändern könne, sei die Bewertung eines Stoffs. Erst jüngst etwa avancierten die per- und poly­fluorierte Alkylverbindungen (PFAS) zu Problemstoffen. Man fand heraus, dass sich PFAS in der Umwelt kaum abbauen, dass sie in den Nahrungskreislauf gelangen und die Organe von Tieren und Menschen schädigen können. Auch im Stadtmist finden sich vor allem in den jüngeren Deponie­bereichen PFAS. Es mussten deshalb neue Grenzwerte für die Entsorgung von PFAS-haltigen Materialien festgelegt werden. Nun wird mit verschiedenen Tests im Labor und vor Ort geprüft, wie man belastetes Material optimal behandeln kann.

«Bei einer derart grossen und heterogenen Deponie weiss man bis zum Ende nie genau, was auf einen zukommt», sagt Roger Dürrenmatt. «Die vielen Sondierungen im Vorfeld der Sanierung ergeben eben nur ein punktuelles Bild. Wir müssen flexibel sein und die passenden Antworten finden.» 

Ein Lastwagen bringt ausgehobenen Abfall zur Behandlung und Entsorgung in die temporäre Anlage auf der Deponie Unterhof – der ältesten der drei Stadtmist-Deponien.

Ein Lastwagen bringt ausgehobenen Abfall zur Behandlung und Entsorgung in die temporäre Anlage auf der Deponie Unterhof – der ältesten der drei Stadtmist-Deponien. © Raisa Durandi/Lunax/BAFU