Schch, schch, krächzt es von oben aus dem Nistkasten. Jetzt, mitten in dieser Julinacht, sind die Schleiereulenküken munter – und hungrig. Sie rufen nach Mama und Papa, die Futter bringen sollen. Derweil sitzen Maeva Bragoni und Maël Fougère zwei Stockwerke weiter unten am Boden der Scheune auf dünnen Matten und lauern. Die Forscherinnen der Schweizerischen Vogelwarte untersuchen die Schleiereulenpopulation. Wenn’s gut kommt, fangen sie heute die Eltern der krächzenden Nestlinge. Denn noch bevor es dunkel wurde, haben sie eine Falle aktiviert: Sobald eines der Elterntiere auf ein kleines Pedal am Eingang des Nistkastens tritt, schliesst sich die Eingangsklappe. «Das hören wir dann, das ist ziemlich laut», sagt Bragoni.
Längst ist die Strassenlaterne draussen ausgegangen und in der Scheune nahe beim Murtensee ist es nun so dunkel, dass man nicht mal mehr die Hand vor Augen sieht. Ab und zu knackt es im Gebälk, das alte Scheunenholz lebt, und wohl auch viel Kleingetier um die Forscherinnen herum. Sie können kein Licht anmachen, nicht miteinander sprechen und sollten sich auch möglichst wenig bewegen, damit ihre Trekkinghosen und Regenjacken nicht rascheln. Auch dieses Geräusch könnte die Schleiereulen-Eltern warnen und davon abhalten, den Nistkasten anzufliegen. Bragoni und Fougère können nur lauschen. Und warten.
Zusammen für die Eulen
Schleiereulen leben in der Nähe von uns Menschen, sie sind sogenannte Kulturfolger. Sie ernähren sich fast ausschliesslich von Mäusen, die auf Wiesen und Äckern und bei Bauernhöfen vorkommen. In Scheunen, Ställen und Mauerritzen gibt es auch ideale Schleiereulen-Nistplätze – zumindest war das früher so. Heute sind solche Nistplätze wegen der modernen Bauweise und der Zersiedelung seltener. «Nur dank privaten Helferinnen und Helfern, beispielsweise Bauernfamilien, die in ihren Scheunen Nistkästen erlauben, konnte sich die Schweizer Population in den letzten 15 Jahren wieder etwas erholen», sagt Bettina Almasi, Gruppenleiterin des Schleiereulenprojekts. Doch noch immer ist die Art als «potenziell gefährdet» eingestuft.
Umso wichtiger ist das Monitoring der Vogelwarte. Seit mittlerweile 20 Jahren erforschen die Vogelspezialistinnen und -spezialisten zusammen mit Alexandre Roulin, Professor an der Universität Lausanne, die Population vom Murtensee bis hinunter nach Lausanne und betreuen Nistkästen an rund 250 Standorten. «Solche Langzeitdaten sind besonders wertvoll, weil sich damit nachvollziehen lässt, wie sich die Eulenpopulation durch Faktoren wie das Klima, die landwirtschaftliche Nutzung oder die Lichtbelastung verändert», sagt Almasi. So erkennen die Forschenden die Ursachen für eine negative Entwicklung.
Fussring rechts oder links?
In der Scheune krächzen die kleinen Schleiereulen nun plötzlich lauter, aufgeregter. Das könnte bedeuten, dass Mama oder Papa in der Nähe ist. Maeva Bragoni und Maël Fougère bleiben mucksmäuschenstill.
Schon tagsüber waren die beiden für das Monitoring im Einsatz. Zusammen mit einer Gruppe von Kolleginnen und Kollegen besuchten sie diesen und weitere Nistkästen, um unter anderem das Wachstum der Jungvögel zu dokumentieren. Im Nistkasten beim Murtensee sind die drei Nestlinge gerade 35 Tage alt – herzige kleine Flaumbälle mit Schnabel. Tagsüber sind sie schläfrig und lassen sich gut in die Hand nehmen. Die Forschenden nehmen sie jeweils auf den Schoss, um sie zu untersuchen. Unter anderem nehmen sie aus einer Vene innen am Flügel eine Blutprobe – für eine spätere Messung der Stresshormone und auch, um das Geschlecht des Tiers zu bestimmen. Je nachdem wird die junge Eule beringt: Weibchen bekommen eine Identifikationsnummer am linken Fuss, Männchen am rechten. Dann dürfen die kleinen Flausche zurück ins Nest und weiterschlafen.
Stresslevel messen
Zehn Autominuten entfernt gibt es in Gletterens einen weiteren Nistkasten. Hier sind die Jungvögel 55 Tage alt und werden schon bald flügge. Jeder der Forschenden kümmert sich um eines der vier Jungtiere und nimmt als Erstes die Blutprobe. «Das muss innerhalb von drei Minuten passieren, denn wir wollen darin die Stresshormone bestimmen, und zwar so, dass der Hormonspiegel noch nicht davon beeinflusst ist, dass der Vogel eben gefangen wurde», erklärt Biologin Roxane Allemann, die die Feldarbeit des Schleiereulenprojekts koordiniert. Diese Daten sollen langfristig zeigen, ob die Eulen in Gebieten mit intensiverer Landwirtschaft oder mehr menschlichen Aktivitäten mit Stress reagieren. Was man bereits weiss: Eine hohe Ausschüttung an Stresshormonen hängt mit einem schlechteren Wachstum, einem schwächeren Immunsystem und einer geringeren Überlebenschance zusammen.
Zudem messen die Forschenden das Gewicht, die Flügellänge und die Länge des Tarsus, also der Fusswurzel zwischen Bein und Kralle. «Diese biometrischen Daten zeigen, wie weit entwickelt die Jungvögel sind», erklärt Allemann. Zusammen mit den Daten aller Schleiereulen im Untersuchungsgebiet bekommen die Forschenden ein Bild davon, wie gut es der Population über viele Jahre hinweg geht. «Heuer ist ein gutes Jahr für die Schleiereulen», sagt Allemann. 2022 hatten sich in Nistkästen im Untersuchungsgebiet knapp über 80 Brutpaare niedergelassen, 2023 waren es 125. Dieses Jahr sind es bereits 140 Brutpaare, und im Verlauf des Sommers werden einige der Weibchen mit neuen Partnern ein zweites Mal brüten.
Die Falle schnappt zu
Doch zurück in die Nacht und ins Dunkel der Scheune, in der Stunden später Biologin Maeva Bragoni und Veterinärmedizinstudentin Maël Fougère auf die Elterntiere lauern. «Tagg» klingt es plötzlich – und reisst die stoisch wartenden Forscherinnen aus ihrem fast meditativen Zustand. Nun geht’s schnell. Bragoni und Fougère springen auf, knipsen ihre Stirnlampen an und eilen über die schmale Treppe zwei Scheunenstockwerke hoch zum Nistkasten. Das gefangene Elterntier, das Weibchen, wird vorsichtig in einen Stoffsack gelegt und für die Untersuchungen hinaus zum Vogelwarteauto getragen. Die Eule hat den Kleinen eine grosse Schermaus mitgebracht und auch diese Beute nehmen die Forscherinnen in ihren Datenkatalog auf. Ein Blick auf die Uhr zeigt halb eins. Fast zwei Stunden hatten Bragoni und Fougère in der Dunkelheit ausgeharrt.
Beim Auto angelangt, schneidet Fougère zunächst die schmalen Bändchen durch, die einen GPS-Sender wie einen kleinen Rucksack am Eulenrücken gehalten hatten. Das Tier trug den Sender zehn Tage lang für ein Projekt, das untersucht, wie künstliches Licht die Eulen bei der Brut beeinträchtigt – wie es etwa die Flugrouten, den Jagderfolg und das Fütterungsverhalten verändert. Teil dieses Versuchs sind rund 40 weitere Nistkästen. Vor der Hälfte von ihnen haben die Forschenden eine Leuchte installiert, die das Licht von Hauseingängen oder Strassenlaternen simuliert. So können sie das Verhalten der Schleiereulen bei Lichtverschmutzung mit jenem von Exemplaren ohne Lichtstress vergleichen.
Auch von diesem Tier nimmt Fougère eine Blutprobe und sie misst die Länge des Flügels. Die Flügellänge ist bei Schleiereulen eine verlässliche Art, um die Körpergrösse zu bestimmen. Während den Untersuchungen wird das Weibchen nie ganz aus dem Stoffsack genommen, denn wenn es nichts sieht, wirkt das beruhigend. Tatsächlich lässt sich die Eule alles gefallen. Dann kommt sie zurück in den Nistkasten und die beiden Forscherinnen gehen wieder auf Warteposition. Schliesslich wollen sie heute Nacht auch noch das Männchen fangen und vermessen.
Forschen, um zu fördern
Einen grossen Hebel, um die Schleiereulen zu fördern, sieht Gruppenleiterin Bettina Almasi in der Gestaltung der Landschaft. «Schleiereulen brauchen eine reich strukturierte Landschaft mit Hecken, von Gebüsch gesäumten Bächen, offenen Waldrändern und Biodiversitätsförderflächen im Ackerland.» Diese Strukturen bieten Rückzugsorte für die Beutetiere sowie Aussichtspositionen für die Jagd, die die Schleiereulen besonders im Winter, wenn sie Energie sparen müssen, nutzen. Und: So strukturierte Landschaften sind auch für viele weitere Tierarten förderlich.
Neben den Schleiereule-Untersuchungen laufen an der Vogelwarte denn auch zahlreiche weitere Forschungs- und Förderprojekte. Zum Beispiel zum Waldlaubsänger, einem Singvogel, der in mittelalten und alten europäischen Laubwäldern zu Hause ist. Seit den 1990er-Jahren sind seine Bestände stark rückläufig, in der Schweiz gibt es ihn vor allem noch in einigen Jurawäldern.
Waldflächen bereitstellen
Die Gründe für seinen Rückgang untersucht die Vogelwarte seit 2010 – angefangen damit, welche Art von Lebensraum der bedrohte Vogel braucht. «Die Art findet sich vor allem in Wäldern mit einem nahezu geschlossenen Kronendach, das wenig Licht durchlässt, sodass der Boden nicht übermässig mit Vegetation bedeckt ist», sagt der Leiter des Waldlaubsängerprojekts Gilberto Pasinelli. Denn der kleine Vogel ist Bodenbrüter und benötigt auf dem Waldboden und im unteren Stammbereich Freiräume, um zu nisten. Rund 70 Prozent des Bodens sollten vegetationsfrei sein, ergaben Pasinellis Untersuchungen.
Aufgrund dieser Erkenntnis haben die Forschenden ein Förderprojekt gestartet, in dem sie in geeigneten Waldflächen zusammen mit Försterinnen und Förstern den Boden von Jungwuchs und Büschen befreit haben. Mit Erfolg: In den aufgewerteten Flächen nisteten fünf Mal mehr Waldlaubsänger als in benachbarten, unbearbeiteten Waldstücken. Allerdings sind die absoluten Zahlen niedrig, da es dort zuvor gar keine Brutpaare gab. Dennoch zeige dieses Resultat, dass der Waldlaubsänger einen anderen Lebensraum benötigt als jenen, der im klassisch bewirtschafteten Dauerwald entsteht, sagt Pasinelli. Dieser wird regelmässig aufgelichtet, sodass stets Jungbäume und Büsche nachwachsen – und dem Waldlaubsänger zu wenig Platz lassen.
Ein ungelöstes Rätsel
Allerdings sind überwachsene Böden nicht die einzigen Ursachen für den Rückgang des Waldvogels. Ein anderer hat womöglich mit der Menge an Baumsamen und mit der Mäusepopulation zu tun. «Wir haben beobachtet, dass die Anzahl der Bruten von Jahr zu Jahr stark schwankt, und dass diese Schwankungen mit der Anzahl Mäuse zusammenhängen», sagt Pasinelli. In mäusereichen Jahren – typischerweise, wenn der Wald im Vorjahr aufgrund der Wetterbedingungen viele Samen produzierte, die gern von den Nagern gefressen werden – gibt es deutlich weniger Nester, aus denen zudem weniger Junge ausfliegen. Dagegen brüten in mäuseärmeren Jahren mehr Waldlaubsänger und mit besserem Bruterfolg.
Tatsächlich zeigten zahlreiche vor Nestern aufgestellte Kameras, dass Mäuse Nester ausrauben. Viel häufiger aber dezimierten Marder, Füchse und Eichelhäher den Waldlaubsänger-Nachwuchs. «Gibt es viele Mäuse in einem Gebiet, patrouillieren dort mehr Räuber, die dann auch mehr Jungvögel erbeuten», sagt Pasinelli.
Doch auch diese Beobachtungen konnten die Jahresschwankungen nicht vollständig erklären. Als Nächstes will Pasinelli den Einfluss der samenreichen Jahre auf die Insektenpopulation untersuchen. Denn Studien haben darauf hingewiesen, dass der Wald in Jahren, die auf samenreiche Jahre folgen, ungünstigere Bedingungen für Insekten bieten könnte. «Und Insekten, vor allem Raupen, sind die wichtigste Nahrungsgrundlage für die Waldlaubsänger», sagt Pasinelli. Es sei darum möglich, dass eine Insektenknappheit die Vögel jeweils vom Brüten abhält.
Dazu kommt bei all diesen Zusammenhängen die Klimaerwärmung: «Durch sie gibt es immer mehr samenreiche Jahre», sagt Pasinelli. «Umso wichtiger ist es herauszufinden, was genau daran den Bruterfolg des Waldlaubsängers beeinflusst.»
Zurück zu den Schleiereulen: In der Scheune ist nach einer weiteren knappen Stunde auch der Eulenpapa aufgetaucht, mit einer Waldmaus für die Kleinen. Auch das Männchen wird untersucht und dann wieder freigelassen, der Nistkasten wieder geöffnet. «Heute hatten wir Glück, beide Elterntiere sind relativ früh aufgetaucht», sagt Maeva Bragoni. Um halb drei Uhr nachts haben die Forscherinnen Feierabend.