Ob Strassen, Parkplätze oder Gebäudeumschwung: Zubetonierte oder asphaltierte, also versiegelte Böden sind Wasser gegenüber nicht durchlässig. In Siedlungsgebieten braucht es deshalb leistungsfähige Abwassersysteme, die das Regenwasser ableiten. Zudem gibt es mit zunehmender Klimaerwärmung im Sommer viel häufiger Dürreperioden und Hitzewellen, wohingegen im Winter intensivere Niederschläge auftreten. Dies sagen die Schweizer Klimaszenarien CH2018 des National Centre for Climate Services NCCS voraus.
Eine Lösung, um diese Auswirkungen aufzufangen, ist das Konzept der Schwammstadt, das die Nutzung der natürlichen Wasserkreisläufe vorsieht. «Die Methode besteht darin, dem Boden seine natürliche Durchlässigkeit zurückzugeben, damit er Regenwasser nicht nur aufnehmen, sondern auch speichern kann – und es bei heissem Wetter dann wieder über Verdunstung zurückgibt», erklärt Antoine Magnollay, stellvertretender Sektionschef Hochwasserschutz beim BAFU. Ein weiterer Unterschied zwischen Grünflächen und versiegelten Flächen ist die Temperatur: In Genf etwa betrug diese Temperaturdifferenz zwischen 1981 und 2010 durchschnittlich 3,1 Grad Celsius, im Stadtzentrum sogar bis zu 7,7 Grad Celsius.
Zurück zum natürlichen Wasserkreislauf
«Das Schwammstadt-Prinzip beruht darauf, Regenwasser dort zu sammeln und zurückzubehalten, wo es fällt, vor allem durch begrünte Dächer und Grünflächen», sagt Silvia Oppliger, Leiterin des Projekts «Schwammstadt» beim Verband Schweizer Abwasser- und Gewässerschutzfachleute VSA. «Das ermöglicht ein lokales Wassermanagement, das den natürlichen Kreislauf nachbildet.»
Verwirklicht wird eine Schwammstadt durch verschiedene technische Lösungen: An Strassen und in Wohnsiedlungen werden Grünflächen geschaffen und neue Quartiere so geplant, dass sie die natürlichen Wasserkreisläufe einbeziehen. Beispielsweise über Rinnensysteme, also etwa Geländemulden und Rigolen, oder Regengärten und Retentionsgräben, etwa in Form von Pflanzgruben. Diese fangen das Regenwasser auf und versorgen damit die Pflanzen in der Umgebung, zudem unterstützen sie die allmähliche Versickerung.
In grösserem Umfang können Städte auch Feuchtgebiete oder multifunktionale Flächen anlegen, die bei Niederschlägen als natürliche Senken dienen. «Die Topografie einer Stadt sollte so gestaltet werden, dass das Wasser über die multifunktionellen Flächen in sichere Bereiche abfliessen kann», sagt Oppliger. «Bei Starkregen kann überschüssiges Wasser in Parks oder auf Fussballplätze geleitet werden. Die sind dann zwar für einige Tage nicht nutzbar, aber mit diesem System lassen sich grössere Schäden an Wohnhäusern und kritischen Infrastrukturen verhindern.»
Kampf den Hitzeinseln
In Erwartung von heisseren Sommern bereiten sich einige Schweizer Städte bereits auf die Umsetzung naturbasierter Lösungen zur Bekämpfung von Hitzeinseln vor, in denen die Temperaturen überdurchschnittlich hoch werden. In Bern etwa zielt die Stadtgrünstrategie 2030 darauf ab, die rund 23 000 Bäume entlang der Strassen, auf Plätzen und in den Parkanlagen der Stadt zu erhalten. Alle Bäume sind ab einer bestimmten Grösse geschützt und dürfen nur in Ausnahmefällen gefällt werden.
«Bäume sind das wirksamste Mittel, um sich an häufiger auftretende Hitze- und Trockenperioden anzupassen», sagt Sabine Mannes, Co-Leiterin der Fachgruppe Klimaanpassung der Stadt Bern. «Damit die Bäume richtig gedeihen können, müssen wir ihnen aber auch optimale Entwicklungsbedingungen bieten.» Dazu gehören ein genügend grosser Wurzelbereich und eine ausreichende Wasserversorgung. Corina Gwerder, ebenfalls Co-Leiterin der Stadtberner Fachgruppe Klimaanpassung, ergänzt: «Eines der Ziele ist es, die von den Baumkronen beschattete Fläche zu vergrössern, das sorgt für Abkühlung.»
Parallel dazu untersucht ein Pilotprojekt der Stadt Bern und der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW, wie sich mithilfe von Bausubstraten aus Kies und organischen Komponenten in dicht besiedelten Gebieten günstigere Bedingungen für das Wachstum der Bäume schaffen lassen. «Durch das Substrat gelangen die Bäume leichter an Wasser und Nährstoffe, und ihre Wurzeln wachsen besser», erklärt Gwerder. «Künftig könnte das Substrat unter Trottoirs, Velowegen und wenig befahrenen Verkehrswegen eingesetzt werden.»
Ein Muss: Biodiversität fördern
Während die Zersiedelung die Artenvielfalt vielfach gefährdet, verbindet die Schwammstadt gezielt den Naturschutz mit der Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung. «Damit der Wasserkreislauf reibungslos funktioniert, braucht es im Ökosystem eine Vielfalt von Pflanzen- und Tierarten», sagt Kilian Perrelet vom Wasserforschungsinstitut Eawag. «Je mehr Arten die gleiche Funktion unter verschiedenen Bedingungen erfüllen, desto widerstandsfähiger ist der Kreislauf.» In seiner Forschung im Team von Lauren Cook an der Eawag arbeitet er daran, die Wechselwirkungen zwischen Wasser und Biodiversität in Städten besser zu verstehen.
«Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass Pflanzen- und Tierarten voneinander abhängig sind. Lebt beispielsweise eine bestimmte Regenwurmart im Boden, beeinflusst das dessen Durchlässigkeit», sagt Perrelet. Er hat in seiner Doktorarbeit DNA-Spuren im Boden analysiert, um die Wechselwirkungen zwischen der Biodiversität und den städtischen Gewässern zu entschlüsseln.
Der Genfer Forscher ruft dazu auf, das Verhältnis zwischen uns Menschen und Naturräumen zu überdenken. «Anstatt alles auf die Wiederherstellung von Naturräumen zu setzen, sollte man auch daran denken, diese gar nicht erst zu zerstören. Beispielsweise gibt es in Zürich über 700 Weiher – ein Naturerbe, das eine Schlüsselrolle beim Erhalt der Artenvielfalt spielt.»
Weit weg von Parks und Flussufern sind diese kleinen Oasen Rückzugsorte für städtische Pflanzen- und Tierarten. Dies lässt sich ausweiten, indem Dächer, Fassaden und Fahrbahnen begrünt werden, um Biodiversitätskorridore zu schaffen. «Damit eine Revitalisierung gelingt, müssen die verschiedenen biodiversitätsfördernden Räume miteinander vernetzt werden», erklärt Lauren Cook.
Schadorganismen eindämmen
Einige Befürchtungen gibt es allerdings: Eine übereilte Begrünung könnte zu Belastungen führen, auf die die Städte nicht unbedingt vorbereitet sind. So bieten stehende Gewässer perfekte Bedingungen für die Fortpflanzung der Tigermücke, die unter anderem das Dengue- und Chikungunya-Fieber übertragen kann. «Sobald eine solche Infektionskrankheit entdeckt ist, wird das gesamte Gebiet im Umkreis von 150 bis 200 Metern von den Gesundheitsbehörden behandelt», sagt Gabi Müller, Leiterin der Beratungsstelle für Schädlingsbekämpfung der Stadt Zürich. «Leider wirken sich solche Behandlungen auch auf andere Arten aus und können somit der gesamten Biodiversität schaden.»
Um kontraproduktive Effekte der Schwammstadt-Massnahmen zu vermeiden, empfiehlt die Expertin nicht nur, auf unterirdische Zisternen zu verzichten und stattdessen Teiche und Fliessgewässer zu fördern, sondern auch, Bäume und andere Pflanzen regelmässig zu beschneiden. Denn: «Unbeschnittene Sträucher oder hohes Gras begünstigen besonders das Aufkommen von Zecken.»
Wenn Anwohnerinnen und Anwohner pickeln
Auch die lokale Bevölkerung engagiert sich für die Entsiegelung der Böden in den Siedlungsgebieten – teilweise mit spektakulären Aktionen. So kamen in Suhr und Windisch (AG) im März und Juni 2023, aufgerufen von zwei Umweltorganisationen, etwa zehn Personen beim Projekt «Asphaltknacker» des Naturama Aargau zusammen, um den Asphalt mit Presslufthämmern aufzubrechen. In der Stadt Zürich hat der Verein «Plan Biodivers» ähnliche Schritte unternommen.
In Emmen (LU) soll das Verdichtungsprojekt der Schützenmattstrasse in der Nähe des Bahnhofs das Schwammstadt-Konzept auf
Quartierebene umsetzen. Um die Bevölkerung besser in diesen Wandel miteinzubeziehen, sieht das mit der Planung beauftragte Landschaftsarchitekturbüro BÖE Studio unter anderem vor, bereits ab Baubeginn – voraussichtlich im Jahr 2027 – einen Gemeinschaftsraum zu schaffen. «Es wird ein Café und einen Pavillon geben, zudem stellen wir den Anwohnenden Gartengeräte zur Verfügung», sagt Johannes Heine, Gründer von BÖE Studio.