«Wasser war schon immer mein Element: Ob Schwimmen, Segeln, Paddeln oder Tauchen – alle meine Hobbys haben einen Bezug zum Wasser. Seit ich 2010 nach Genf gezogen bin, ist für mich der See ein Ort, den ich mit Entspannung und Vergnügen verbinde. Während meiner gesamten beruflichen Laufbahn war es mir stets ein Anliegen, die ökologischen und gesellschaftlichen Auswirkungen der Unternehmen, für die ich tätig war, positiv zu beeinflussen. Die Coronapandemie und die Geburt meiner Kinder haben mich dazu veranlasst, mich noch stärker für Nachhaltigkeit einzusetzen. Als dann im Juni 2023 das Unternehmen, für das ich damals arbeitete, umstrukturiert wurde, nutzte ich die Gelegenheit, um mich neu zu orientieren und persönlich weiterzuentwickeln.
Zwei Monate später begab ich mich auf einen Segeltörn durch den Ärmelkanal, der mich von der Bretagne zu den britischen Scilly-Inseln führte. Eine Flaute liess unser Boot jedoch stillstehen und so hiess es, sich in Geduld zu üben. Gleichzeitig hatte ich auch viel Zeit, um nachzudenken. Diese Erfahrung öffnete mir die Augen: Was war aus meinem Kindheitstraum geworden, die Ozeane zu retten? Und wenn nicht für den Erhalt der grossen Weltmeere, könnte ich doch zumindest zum Schutz der Schweizer Seen, insbesondere des Genfersees, beitragen.
Dazu musste ich aber zunächst verstehen, mit welchen Herausforderungen die Seen derzeit zu kämpfen haben. Es folgten monatelange Recherchen sowie zahlreiche Gespräche mit Fachleuten für Meeresbiologie und Organisationen wie der Internationalen Kommission zum Schutz der Gewässer des Genfersees (CIPEL) oder der Vereinigung zum Schutz des Genfersees (ASL). Dabei kristallisierte sich ein Problem heraus: nämlich die Ausbreitung der Quaggamuschel, einer invasiven und ungeniessbaren Art. Die eigentlich im Schwarzen Meer beheimatete Muschel wurde 2015 erstmals im Genfersee entdeckt und hat seitdem ein Dutzend Schweizer Seen besiedelt, darunter der Neuenburger-, Bieler-, Boden- und Luganersee.
Quaggamuscheln filtern bis zu zwei Liter Wasser pro Tag und nehmen dabei Phytoplankton auf. Dadurch nehmen sie den Fischen einen Grossteil ihrer Nahrung weg. Ausserdem heften sie sich an andere Lebewesen wie beispielsweise Krebse.
Da Quaggamuscheln bereits seit acht Jahren im Genfersee vorkommen und eine einzige Muschel bis zu einer Million Larven pro Jahr ausstossen kann, könnte sie den See für viele darin lebende Arten unbewohnbar machen und unsere Wasser- und Energieversorgung ernsthaft gefährden. Wenn wir nichts dagegen unternehmen, könnte dieses düstere Szenario im Jahr 2045 tatsächlich eintreten.
Besonders die Fischerinnen und Fischer schlagen Alarm. Täglich holen sie kiloweise Muscheln aus ihren Netzen. Allein im Genfersee sind es fast eine Tonne pro Tag. Dies führt nicht nur zu geringeren Fangmengen, sondern zwingt die Fischerinnen und Fischer auch dazu, täglich zwei bis fünf zusätzliche Stunden für das Säubern ihrer Netze aufzuwenden. Die Muscheln verstopfen zudem die Rohrleitungen im See, die für die Wasserkraftnutzung und für thermische Zwecke erforderlich sind.
Vor diesem Hintergrund beschloss ich, mich diesem Problem anzunehmen, und rief im September 2023 Alien Limited ins Leben. In Zusammenarbeit mit dem Labor für Baustoffe der EPFL konnten wir zeigen, dass man die Schalen dieser Muscheln – die aus Kalk bestehen – als Alternative für Kalkstein verwenden kann, um den LC3-Zement herzustellen, der bis zu 50 Prozent mit Ton, Gips und Kalk angereichert wird. Dadurch lassen sich die CO2-Emissionen im Vergleich zur Produktion von herkömmlichem Zement um 40 Prozent reduzieren. Gegenwärtig untersuchen wir gemeinsam mit der Fachhochschule HEIG-VD nach Möglichkeiten, um das Fleisch der Muschel zu verwerten. Die Ergebnisse dürften im Herbst vorliegen.
Ende 2023 wurde ich vom Verein Genilem mit einem Preis ausgezeichnet, im Juni 2024 gewann ich den Venture-Preis. Die Siegesprämien ermöglichen es mir, mein Non-Profit-Unternehmen weiterzuentwickeln. Aktuell bemühe ich mich um Partnerschaften mit lokalen und nationalen Behörden, um eine Wertschöpfungskette aufzubauen. Egal, ob sie in den Fischnetzen hängenbleiben, ans Ufer gespült werden oder die Rohrleitungen verstopfen – die Quaggamuscheln lassen sich zu wertvollen biobasierten Materialien weiterverarbeiten. Natürlich soll jetzt nicht der ganze Seegrund ausgebaggert werden, das hätte nämlich ebenfalls verheerende Folgen für das Ökosystem des Sees.
Mein Projekt ist Teil der Bemühungen, eine Kreislaufwirtschaft zu schaffen. Das Ziel ist es daher, auf bestehenden Prozessen und Infrastrukturen aufzubauen, wie beispielsweise jenen der Werkhöfe. Eine neue Fabrik zu bauen würde keinen Sinn ergeben. Da jeder See zudem topologische und biodiversitätsbezogene Besonderheiten aufweist, ist es wichtig, die lokalen Akteure mit ins Boot zu holen.»
Carole Fonty
Carole Fonty wurde 1986 geboren. Sie studierte Marketing in Paris und arbeitete an Nachhaltigkeitsprojekten für multinationale Unternehmen wie Pernod Ricard und später L’Oréal in der Schweiz. Im Jahr 2023 schlug sie beruflich einen neuen Weg ein und begann den Lehrgang «Leading Sustainable Business Transformation» am International Institute for Management Development (IMD) in Lausanne. Im September des gleichen Jahres gründete sie die Firma Alien Limited. Für ihr Schaffen wurde Carole Fonty mit mehreren Preisen ausgezeichnet. Darüber hinaus war sie Mitglied des Inkubators «Circular Economy Transition» von Impact Hub.
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