Der Klimawandel kratzt am Ruf zweier bisheriger Stars der Schweizer Baubranche: Stahl und Beton. Sie sind seit Ende der 1960er-Jahre mengenmässig die wichtigsten Baustoffe, da sich mit ihnen Wohnraum schnell und günstig bauen lässt. Doch nachhaltig ist diese Bauweise nicht: Zehn Prozent der Treibhausgase in der Schweiz gelangen durch die Herstellung von Baumaterialien und den Rückbau von Bauwerken in die Atmosphäre. «Die Verwendung von Stahl und Beton ist mit grossen Mengen grauer Energie verbunden», erklärt Christian Aebischer von der Sektion Holzwirtschaft und Waldwirtschaft im Bundesamt für Umwelt (BAFU).

Damit ist die nicht erneuerbare Energie gemeint, die es braucht, um die Rohstoffe abzubauen, zu bearbeiten, zu transportieren, zu verbauen und am Ende wiederzuverwerten oder zu entsorgen. Deshalb wächst die Nachfrage nach umweltschonenden Alternativen zu Stahl und Beton – nach Baustoffen wie Lehm oder Holz.

Passt sich in die Umgebung ein: Das Besucherzentrum der Schweizerischen Vogelwarte am Ufer des Sempachersees ist aus Blöcken aus Stampflehm gebaut.

Passt sich in die Umgebung ein: Das Besucherzentrum der Schweizerischen Vogelwarte am Ufer des Sempachersees ist aus Blöcken aus Stampflehm gebaut. © Marcel Burkhardt

Ein Holzhaus als CO2-Speicher

Holz aus regionalen Beständen und einer verantwortungsvollen Waldwirtschaft könne die Ökobilanz eines Hauses stark verbessern, sagt Aebischer. Nicht nur sind die negativen Umwelteinflüsse schwächer als bei Stahl und Beton, der nachwachsende Rohstoff dient auch als CO2-Speicher. «Holz bindet beim Wachstum pro Kubikmeter rund eine Tonne CO2. Dieses bleibt bis zuletzt im Material, so entlasten Holzhäuser unsere Atmosphäre sogar», sagt der Spezialist für Holzwirtschaft.

Massivholz hat als Baustoff weitere Vorteile: Dank seiner offenen Poren reguliert es etwa die Feuchtigkeit in Innenräumen und es verströmt ein warmes und behagliches Gefühl. Holz ist leicht und kräftig zugleich. Hochgerechnet auf das gleiche Gewicht, trägt es ein Vielfaches mehr als Stahl. Und weil Elemente in der Werkstatt vorgefertigt werden, lässt sich ein Holzbau auch schneller fertigstellen. Ein Beispiel: In Winterthur entstand bis 2018 der bis dahin grösste Holzbau der Schweiz. Die Wohnüberbauung «Sue & Til» bietet in seinen 20 Gebäuden Platz für mehr als 300 Wohnungen. «Weil viele Bauteile vorgefertigt wurden, waren die ersten Häuser mehrere Monate vor dem geplanten Termin bezugsbereit», sagt Christian Aebischer. «Das freute natürlich die Investorin, weil die Mieteinnahmen früher flossen.»

Das Haus, das aus Boden besteht

Nachhaltige Bauelemente entstehen nicht nur aus Holz, sondern auch aus Stroh oder Lehm. Die österreichische «Lehm Ton Erde Baukunst GmbH» begann schon vor 30 Jahren damit, den seit Jahrhunderten bekannten Stampflehm wieder als Baustoff zu etablieren. Aufsehenerregende Objekte wie das Ricola Kräuterzentrum in Laufen bei Basel oder das Besucherzentrum der Vogelwarte Sempach errichteten die Mitarbeitenden der Firma in einem selbst entwickelten Verfahren. Dabei verdichten – oder eben stampfen – sie ein Gemisch aus Lehm und Stein maschinell und schneiden es in grosse Blöcke. Einmal ausgetrocknet, verbinden sie diese Blöcke auf der Baustelle wie riesige Ziegel mit Lehmmörtel.

«Stampflehm findet man überall auf der Welt im Boden. Wir nehmen ihn deshalb, wenn immer möglich, direkt aus der Baustelle», sagt Thomas Honermann, Architekt bei der «Lehm Ton Erde Baukunst GmbH». Im Idealfall verarbeitet die Firma den Lehm in einer temporären Feldfabrik direkt vor Ort. So entsteht keine graue Energie beim Transport. Ein weiterer Vorteil des Stampflehms: An seinem Lebensende ist er komplett wiederverwertbar.

Zudem schreibt man Lehmwänden gute Eigenschaften für das Raumklima zu: Sie sorgen für optimale Luftfeuchtigkeit, setzen keinen Schimmel an, reinigen die Luft und haben wegen der hohen Dichte gute Temperatur-Speichereigenschaften. Was die Tragfähigkeit angeht, können Lehmwände mit Stahlbeton mithalten, nur bei Zugkräften nicht. Deshalb kombiniert man Lehm meist mit Beton- oder Holzkonstruktionen – wie beim Gebäude der Vogelwarte Sempach.

Die Wohnüberbauung «Sue & Til» in Winterthur entstand 2018 und war gesamthaft 300 Wohnungen in 20 Gebäuden der bis dahin grösste Holzbau der Schweiz. © Beat Bühler

Einen Nachteil hat Lehm allerdings: Bei Feldfabrik-Bauten ist der Preis pro Quadratmeter Wand rund dreimal so hoch wie bei einer Betonwand. «Das Verfahren ist noch sehr arbeitsintensiv», erklärt Honermann. Durch Vorfertigung und technische Weiterentwicklung werde man aber künftig günstiger bauen können.

Doch auch, wenn natürliche Baustoffe laufend weiterentwickelt werden – für Christian Aebischer vom BAFU ist klar: «Man wird im Bauwesen weiterhin auf Beton und Stahl angewiesen sein. Im Sinne der Kreislaufwirtschaft sollte man aber dafür sorgen, dass diese Gebäudeteile und alle anderen nicht nur rezykliert, sondern vermehrt auch direkt wiederverwendet werden.»