Nahe der Autobahnausfahrt von Richterswil (ZH) ragen seit rund drei Jahren inmitten grüner Wiesen und gelben Rapsfeldern haushohe Erdhügel gen Himmel. Baumaschinen schieben Erdreich hin und her. Im Fünfminutentakt bringen Lastwagen Erde, die in der Umgebung für den Bau von Gebäuden und Autobahnen, Revitalisierung von Flüssen sowie Baustellen mit kilometerlangen Rohren abgetragen wurde. Es ist staubig und laut.
Boden gilt als nicht erneuerbar, denn es dauert über 1000 Jahre, bis sich ein Meter davon gebildet hat. Die Schweiz verliert jährlich rund 18 Quadratkilometer Boden durch Degradation– das heisst die Böden werden überbaut oder geschädigt durch falsche Bewirtschaftung. Damit gehen ihre wichtigen Leistungen zugunsten von Landwirtschaft, Biodiversität oder dem Schutz vor Naturgefahren verloren: So sorgt ein gesunder Boden während Hitzeperioden für Kühlung, nimmt Starkniederschläge auf, filtert Wasser und bietet Pflanzen und Tieren Lebensraum.
Eine breite Allianz engagiert sich, um diese Bodenverluste zu stoppen. Der Bundesrat hat 2020 mit der Bodenstrategie Schweiz beschlossen, dass ab dem Jahr 2050 netto kein Boden mehr verbraucht wird.
«Gehen beim Bauen Bodenfunktionen verloren, müssen diese an einem anderen Ort durch Aufwertung kompensiert werden», erklärt Corsin Lang vom BAFU. Um die nicht erneuerbare natürliche Ressource zu bewahren, ist die Verwertung von abgetragenem Erdreich seit 2016 vorgeschrieben. Bauherren müssen dafür sorgen, dass die obersten Schichten des ausgebaggerten Erdreichs andernorts wieder verwendet werden. Bei grösseren Bauvorhaben ist ein Entsorgungskonzept vorgeschrieben. «Meist dient abgetragener Boden dazu, landwirtschaftliche Flächen aufzuwerten», weiss Corsin Lang. Damit können zum Beispiel auch Kiesabbaustellen rekultiviert werden.


Professionelle Leitung vorgeschrieben
In Richterswil wurde vor Jahrzehnten eine vom Autobahnbau entstandene Deponie nicht fachgerecht zugeschüttet. Nun sind die Bodenschichten zu wenig dick und deshalb bleibt die Fläche bisher nur eingeschränkt landwirtschaftlich nutzbar. Ein idealer Standort also, um abgetragenes Erdreich zu verwerten und neue fruchtbare Ackerfläche zu schaffen. Bis Ende dieses Sommers werden dort rund 110 000 Kubikmeter Erdreich aufgetragen, was dem Volumen von 44 olympischen Schwimmbecken entspricht.
Eine bodenkundliche Baubegleitung unterstützt die Bauherrschaft dabei, sachgerecht mit dem Boden umzugehen, z.B. mit der angelieferte Erde. Ein solcher Beizug wird in vielen Fällen von den Baubewilligungsbehörden vorgeschrieben. Im Kanton Zürich müssen Baustellen ab der Grösse einer halben Hektare professionell begleitet werden.
«Bodenkundliche Baubegleiter befassen sich mit den vom Bauvorhaben betroffenen Böden, untersuchen deren Eigenschaften und Belastungen. Anhand einer Kartierung entscheiden sie, wie damit umgegangen werden muss», erläutert Matias Laustela, Projektleiter und Leiter Umweltplanung bei Basler & Hofmann. Sie entscheiden, wo und unter welchen Bedingungen Böden wiederverwendet werden müssen oder können. Auch, was mit ihnen geschieht, wenn sie mit Schadstoffen belastet sind, liegt in ihrer Kompetenz, führt Laustela aus. Er stellt seit über 20 Jahren sicher, dass auf Baustellen gemäss Umweltrecht vorgegangen und das jeweilige Nutzungsziel erreicht wird. «In Richterswil muss der aufgewertete Boden qualitativ so gut werden, dass er eine langfristige Fruchtbarkeit für Ackerkulturen wie Getreide behalten kann», sagt er.

Boden gilt als nicht erneuerbar, denn es dauert über 1000 Jahre, bis sich ein Meter davon gebildet hat. Die Schweiz verliert jährlich rund 18 Quadratkilometer Boden durch Degradation. ©Yoshiko Kusano/Lunax/BAFU
Gründüngungen helfen zusätzlich
Vor Ort sorgt Bauherr Roger Reichmuth von der Geoplan Swiss Bodenverbesserungen GmbH dafür, dass seine Mitarbeitenden die angelieferten Bodenarten etappenweise in der richtigen Höhe aufeinanderschichten. «Die zwei obersten Schichten sind die fruchtbarsten. Diese lagern wir getrennt, um sie dann in der richtigen Höhe aufeinander zu geben», erläutert er. Fruchtbare Erde besteht im Raum Zürich aus 30 Zentimetern Humus und 60 bis 70 Zentimetern Unterboden. Die Dicke dieser Schichten variiert je nach Region. «Meist ist der Unterboden nicht genügend hoch», sagt Reichmuth. Da dieser jedoch als Wurzelraum für Ackerkulturen dient und Nährstoffe sowie Wasser speichert, ist er sehr wichtig. Um eine stabile und nutzbare Vegetationsdecke zu schaffen, sät der Bauherr persönlich laufend Gründüngungen an. Trotzdem dauert es rund fünf Jahre, bis der Boden einigermassen erholt ist. Dies zeigt, wie wichtig es ist, dieser lebensnotwendigen Ressource Sorge zu tragen.
Die Schweiz, eine Vorreiterin im Bodenschutz
Um den Bodenschutz zu fördern, wurde vor rund 50 Jahren die Bodenkundliche Gesellschaft der Schweiz (BGS/SSP) gegründet. Sie setzt sich für die Verbreitung bodenkundlichen Wissens und die Erhaltung gesunder Böden ein. Sie hat als Pionierin in Europa eine spezielle Ausbildungsform eingeführt: bei Grossbaustellen beraten bodenkundliche Baubegleiterinnen und Baubegleiter die Bauherren. Diese befassen sich mit dem Erdreich auf Baustellen, untersuchen seine individuellen Eigenschaften und entscheiden über die Verwertung.
Ziel: Kein netto-Bodenverlust mehr ab 2050
Der Bundesrat hat mit der Bodenstrategie Schweiz beschlossen, dass ab 2050 kein zusätzlicher Boden mehr verbraucht wird. Funktionen, die durch Überbauungen verloren gehen, müssen an einem anderen Ort wieder hergestellt oder kompensiert werden. Dabei werden der unterschiedlichen Qualität von Böden sowie auch der Fläche Rechnung getragen. Abgetragenes Erdreich von Baustellen wird nicht in Deponien abgelagert, sondern verwandelt beispielsweise geschädigte Flächen wieder in fruchtbares Ackerland.