Hier ein Broccolistrunk, da ein abgelaufenes Joghurt oder ein trockener Resten Brot: Was wir zu Hause an Essen in den Abfall werfen, fühlt sich nach wenig an. Doch das täuscht. In der Summe verschwenden Schweizer Haushalte 778 000 Tonnen Lebensmittel pro Jahr, wie eine 2019 vom BAFU in Auftrag gegebene Studie ergeben hat. Und das ist längst nicht alles: Food Waste beginnt schon auf dem Acker und zieht sich durch die gesamte Wertschöpfungskette – über die Verarbeitung und den Handel bis in die Gastronomie und die eigene Küche.

Zunächst die Ernte: Gemüse, das nicht der Norm entspricht, schafft es nicht zum Verarbeiter. Fällt die Ernte so gut aus, dass sie die Nachfrage übersteigt, wie das beispielsweise bei Tomaten, Salat oder Zucchetti vorkommen kann, bleiben Überschüsse. Sie landen unten anderem in der Kompostierungsanlage, im Futtertrog oder in der Biogasanlage.

Ein erheblicher Anteil der Lebens­mittelverluste entsteht auf Verarbeitungsstufe, mit jährlich rund einer Million Tonnen. Sie gehen vor allem auf ungenutzte essbare Neben­produkte zurück. Kamen bei unseren Grosseltern noch Herz und Niere auf den Tisch, enden Innereien heute vielfach als Schlachtabfälle. Auch Molke, die bei der Käseproduktion anfällt, und Kleie, die bei der Herstellung von Mehl zurückbleibt, werden zum Grossteil an Nutztiere verfüttert, obwohl beides ernährungsphysiologisch wertvolle Produkte für uns Menschen wären (siehe Artikel «Vor dem Abfall gerettet»).

Eine unnötige Umweltbelastung

«Als vermeidbare Verluste bezeichnen wir die Anteile der für den menschlichen Konsum bestimmten Lebens­mittel, welche wir nicht konsumieren», erklärt Jonathan Brünggel von der Sektion Konsum und Produkte des BAFU. Sie entstehen auch dann, wenn Lebensmittel nicht im Müll, sondern in der Biogasanlage oder im Hundenapf landen. «Verwerten ist besser als entsorgen. Aber wenn Lebensmittel, die in hoher Qualität für den menschlichen Konsum produziert worden sind, als Tierfutter oder zur Energiegewinnung dienen, kommen sie nicht mehr direkt in die menschliche Ernährung und sind darum ein Verlust», sagt Brünggel. Insgesamt belaufen sich die vermeidbaren Lebensmittelverluste in der Schweiz über die gesamte Wertschöpf­ungskette auf jährlich 2,8 Millionen Tonnen – ein Drittel der hierzulande produzierten und importierten Lebensmittel wird verschwendet.

«Im Haushalt kann man Food Waste reduzieren, indem man weniger aufs Mal einkauft.»

Karin Spori

Geschäftsführerin foodwaste.ch © Manu Friederich/BAFU

Soweit die schlechte Nachricht. Die Gute ist: «Weil das Ernährungssystem über einen Viertel unseres gesamten ökologischen Fussabdrucks ausmacht, können wir mit der Reduktion von Food Waste viel für Umwelt und Klima bewirken», sagt Claudio Beretta. Der Umweltwissenschaftler forscht an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW zu Nachhaltigkeit im Ernährungs­system und hat den Bericht über Food Waste für das BAFU mitverfasst.

Dabei hat er nicht nur die Menge der Lebensmittelverluste unter die Lupe genommen, sondern auch die dadurch verursachten Umwelt­auswirkungen. Berettas Berechnungen zufolge ist Food Waste für rund zehn Prozent der jährlichen Treibhaus­gasemissionen in der Schweiz verantwortlich und verursacht eine Umweltbelastung, die der Hälfte jener des motorisierten Individual­verkehrs entspricht.

Ziel: Lebensmittel besser nutzen

«Mit der Verwertung als Tierfutter oder in Form von Energie können wir nur einen Bruchteil der verursachten Umweltbelastung wettmachen», hält Beretta fest. «Das Ziel muss deshalb sein, Lebensmittel ganzheitlich für unsere Ernährung zu nutzen.» Sei es, indem wir Überschüsse vermeiden, Essensreste spenden oder Rückstände und Nebenprodukte als Lebensmittel nutzen. Beispielsweise könnte Molkenprotein in Fleischersatz­produkten verarbeitet werden und durch Zugabe von Kakaobohnen­schalen liesse sich der Schokoladenanteil in Glace reduzieren.

Der 2022 vom Bundesrat verabschiedete «Aktionsplan gegen die Lebensmittelverschwendung» schlägt eine Reihe von Massnahmen vor, wie die Lebensmittelwirtschaft Food Waste reduzieren kann (siehe Box). Daneben gibt es viele privatwirtschaft­liche Initiativen und Angebote, etwa B2B-Online-Marktplätze wie Circunis, Olanga und die Rohstoffbörse, über die Produzenten, Verarbeiter, Detailhändler oder Gastronomie­betriebe ihre Überschüsse anbieten können. Oder die Plattform Foodbridge, die Unternehmen hilft, Lebensmittelspenden an karitative Organisationen abzuwickeln. Die Vereine Madame Frigo und Foodsharing wiederum bieten mit einem Netz von öffentlichen Kühlschränken Konsumentinnen und Konsumenten die Möglichkeit, Lebensmittel zu tauschen.

Food Waste Zuhause reduzieren

Wichtig ist nicht nur die Menge der Lebensmittelverluste, sondern auch die Umweltbelastung, die die nicht konsumierten Lebensmittel verursacht haben. Sie ist in den Haushalten, in der Gastronomie und im Handel höher pro Kilogramm Lebensmittelverluste als bei der Landwirtschaft und der verarbeitenden Industrie, da die verschwendeten Lebensmittel bereits transportiert, bearbeitet, allenfalls gekühlt oder schon gekocht wurden. Der Detailhandel kann mit verschiedenen Massnahmen mithelfen, die Umweltbelastung durch Lebensmittelverluste in den anderen Bereichen zu reduzieren, je nach Ausgestaltung der Verträge mit der Landwirtschaft, mit geeigneter und auf die Ernte abgestimmte Aktionsplanung und mit der Information von Konsumierenden.

«Im Haushalt kann man Food Waste am besten reduzieren, indem man weniger aufs Mal einkauft und sich nicht von Aktionsangeboten verführen lässt», rät Karin Spori, Geschäftsführerin von foodwaste.ch. «Hilfreich ist auch, Reste in trans­parenten Tupperdosen aufzubewahren, damit man immer im Blick hat, was noch da ist.» Auf der Website von foodwaste.ch finden sich viele weitere Tipps und Infos zur Resteverwertung und darüber, wie weit Lebensmittel über das Mindesthaltbarkeits- und das Verbrauchsdatum hinaus genossen werden können. Damit der Broccolistrunk, das abgelaufene Joghurt und das trockene Brot nicht mehr im Müll landen.

Aktionsplan gegen Lebensmittel-Verschwendung

Im Rahmen des Aktionsplans gegen die Lebensmittelverschwendung haben 36 Schweizer Unternehmen und Verbände aus Landwirtschaft, Verarbeitung, Detailhandel und Gastronomie eine branchenübergreifende Vereinbarung unterzeichnet. Darin erklären sie sich bereit, die gesamte Menge an Food Waste bis 2030 zu halbieren. Massnahmen betreffen unter anderem die systematische Erhebung von Lebens­mittelverlusten, die Förderung von Innovationen bei Nebenprodukten, Bildungsmassnahmen oder eine verständlichere Haltbarkeits­deklaration. Rund zehn Prozent der unverkauften Lebensmittel im Detailhandel werden bereits gespendet. Dagegen nehmen erst wenige Detailhändler die Möglichkeit wahr, Frischfleisch einzufrieren und es dadurch 90 Tage über das Verbrauchsdatum hinaus zu verkaufen. Welche Massnahmen sich etablieren und welchen Effekt sie haben, wird eine erste Zwischenbilanz zum Aktionsplan im nächsten Jahr zeigen.

IN KÜRZE

Food Waste beginnt schon auf dem Acker und zieht sich über die Verarbeitung und den Handel bis in die Gastronomie und die eigene Küche. Die gute Nachricht: Weil die Ernährung einen Viertel unseres ökologischen Fussabdrucks ausmacht, können wir mit der Reduktion von Food Waste viel für Umwelt und Klima bewirken. Im Rahmen des Aktionsplans gegen die Lebensmittelverschwendung haben sich die Branche und der Bundesrat zum Ziel gesetzt, Food Waste bis 2030 zu halbieren.